Überschätzt

„Das Weiße Album“ der Beatles auf der Bühne

 

HANNOVER.  „Das Weiße Album“ der Beatles gilt Pophistorikern als großer Wurf. Ein anfechtbares Urteil – die Lieder auf der Bühne legen eine Revision nahe.

 

Niemand geringeres als Roland Schimmelpfennig, einer der wortmächtigsten Gegenwartsdramatiker, hat die Liedtexte ins Deutsche übertragen – und so durfte sich jeder Besucher des Abends einen Zugewinn an Verständnis erhoffen. Er blieb gering, denn die Sängerinnen und Sänger – zwei Damen, drei Herren – artikulierten mäßig, vieles blieb unverständlich.

 

Neun Beatles – neun?

 

Aber schon am Anfang fragte man sich: Wieso fünf? Wieso zwei Frauen? Waren die Beatles nicht vier? Männer? Und warum kamen dazu noch die vier von den „Piggies“,  für die Instrumente zuständig? Spielten und sangen die Pilzköpfe nicht gleichzeitig? Das sah so leicht aus, hörte sich so selbstverständlich an – das war eine Grundlage ihrer Ausstrahlung. ihres Ruhms:

 

Die litt unter der Arbeitsteilung in Hannover – am meisten unter Mirka Pigulla. Sie trug wie alle ein weißes Kostüm (wohl wegen des „Weißen Albums“), als einzige allerdings eine knallenge Stretchhose. Die Aktrice wollte und sollte wohl den Eindruck erwecken, sie könne gut tanzen – und näherte sich fatalerweise der Körpersprache einer verhemmten Stripperin an. Das verschob die Ausstrahlung hin zum Schmierigen, zu verklemmtem Sex – und das hat mit den Beatles nun überhaupt nichts zu tun.

 

Die „Piggies“ spielten makellos – das einzig Positive an der Aufführung – die Sänger waren in ihren besten Augenblicken mittelprächtig, da sind die Fab Four wohl uneinholbar. Schlimmer: Dem Regisseur fiel nicht viel ein.

 

Das Lebensgefühl?

 

Wenn es stimmt, dass die Beatles mit ihren Songs dem Lebensgefühl ihrer Epoche, hier der späten 60er Jahre, Ausdruck gegeben haben, wie Popapologeten nicht müde werden zu behaupten, hätte es nahe gelegen, dieses Lebensgefühl ins Szenische zu übersetzen. Thinkste Puppe. Regisseur Florian Fiedler beließ es ganz überwiegend bei einer Bühnenshow, die ziemlich schlaff über die Rampe kam – das können Schauspieler nicht, dazu haben sie keine Ausbildung, da sind sie überfordert. Und an die Rampe treten oder von links nach rechts und wieder zurück zu tänzeln, das ist nicht abendfüllend. Auch wenn das Becken geschwenkt wird. Ein paar Dias von 68 machen den Kohl auch nicht fett.

 

Aber der Abend war nicht nur langweilig, weil Regisseur und Darsteller keine zündende Idee hatten und so weit hinter dem großen Vorbild zurückblieben – die Beatles selbst waren offenbar gar nicht so toll, wie uns die Erinnerung   weismachen möchte. Diese Erkenntnis legten die Lyrics  nahe – Schimmelpfennig übersetzte nah am Text. Z. B. das wohl beste Lied des Abends, „Revolution“: „Du sagst, Schluß mit der Konstitution/naja, sehr schön,/da oben muß sich echt was tun/Du sagst, Schuld ist die Institution/Ja, ja, kann sein,/ fang lieber mal bei dir selbst an,/ aber wenn du jetzt anfängst mit Gewalt als Mittel,/dann kannst du mir glauben, so wird das nichts/weißt du nicht wie sowas läuft – ganz sanft.“

 

45 Jahre nach dem „Weißen Album“ sind da Zweifel berechtigt. Die Beatles waren offenbar keine tollen Lyriker und Analytiker ihrer Zeit erst recht nicht. In der Zeit, in der die junge Intelligenz gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, als Martin Luther King und Kennedy erschossen wurden, wirkt die Lyrik der Beatles in ihrem „Weißen Album“ überwiegend eskapistisch –   das beweist   der ganze Abend in Hannover, vermutlich wider Willen.

 

Wir waren schon mal weiter

 

Früher gab es in Niedersachsens Staatsschauspiel – und nicht nur dort – tolle Abende für singende Schauspieler. Franz Wittenbrink hatte sie zusammengestellt – sie hatten ein inhaltliches Zentrum, waren kritisch, satirisch, und Wittenbrink, der auch Regie führte, vermochte es, die Schauspieler zu  Leistungen weit jenseits ihres Durchschnitts anzuspornen, schauspielerisch und sängerisch. Hinter Wittenbrinks Musikabenden für Schauspieler bleibt das „Weiße Album“ Lichtjahre zurück.

 

„The White Album“ in Hannovers Staatsschauspiel war dennoch kein vertaner Abend, denn er  führt zu zwei bitteren Erkenntnissen – Wittenbrink war besser und: Die Beatles werden, was ihre Texte betrifft, überschätzt.

 

Internet: www.staatstheater-hannover.de – Kartentel.: 0511 9999 1111.

Aufführungen am: 19., und 29. Nov.; 6. und 31.Dez. – Spieldauer: 100 Min.