Festival in Avignon hat Luft unter den Schwingen

Festival in Avignon hat Luft unter den Schwingen

Zum Auftakt eine japanischeuropäische „Antigone“ zeitenthoben

 

AVIGNON. Das Festival d’Avignon ist das größte Sommerfestival Frankreichs, es gilt als tonangebend in Europa und strahlt weltweit aus. Die Einladung, in Avignon aufzutreten, bedeutet für jeden Künstler einen Zuwachs an Prestige. Für Besucher  ist Avignon während des Festivals so attraktiv, weil neben dem internationalen noch ein Festival der Freien Gruppen über die Bretter geht, die die Welt bedeuten, und viele Straßenkünstler Plätze und Avenuen in der Altstadt beleben.

 

Am Donnerstag am späten Abend ging es los;   wie die Tradition es gebietet, ging die erste wichtige Inszenierung  im Ehrenhof des Papstpalastes über die Bühne.  Auf dem Programm stand „Antigone“  von Sophokles. Olivier Py, der Intendant,  hat den Auftakt bewusst programmatisch geplant: Das Festival d’Avignon hat dem Ensemble von Satoshi Miyagi die Eröffnungspremiere anvertraut.

 

Diese Entscheidung ist  kulturpolitisch programmatisch. In Frankreichs Süden sind die Rechten stark – hätten sie die Macht, würden sie ihr Konzept umsetzen: „Francophonie“: Ein französischer Klassiker in klassischem Französisch für ein französisch gebildetes Publikum auf der prestigeträchtigsten Bühne eines französischen Sommerfestivals. Dagegen stellt der derzeitige Intendant, Olivier Py, ein namhafter Vertreter des französischen katholischen Volkstheaters, sein Konzept: Welttheater. Die japanische Inszenierung einer europäischen Tragödie auf der Bühne des berühmtesten  französischen Sommerfestivals.

 

Olivier Py

 

Das Ensemble spricht Japanisch. Dabei gibt es einen sonderbaren Effekt, denn die Figuren werden nicht von einem, sondern von zwei Schauspielern verkörpert. Ein Akteur übernimmt das körperliche Spiel, vor allem also Gesten, Haltung usw., der andere die Stimme, er spricht die Rolle. Das erweist sich als sinnvoll, weil die Schatten der spielenden Darsteller ins Gigantische vergrößert, an die Rückwand der Bühne, eine Mauer des Papstpalastes, geworfen werden. Es wirkt, als sprächen Schatten aus der Antike zu uns.

 

Bühnenbildner Junpei Kiz hat die riesige Bühne im Ehrenhof des Papstpalastes unter Wasser gesetzt, die Schauspieler waten knöcheltief durch die Flut. Mitunter rudert ein Darsteller auf einem Floß auf die Szene. Am Schluss trägt das Floß matte weiße Laternen, sie werden, während die Scheinwerfer langsam, gaaaaaaaaaaaanz langsam erlöschen, auf den Bühnenteich ausgesetzt, eine sublime Art der Trauer. Trauer nicht nur für die Toten der Tragödie, sondern auch für das Andauern des Konflikts bis heute. Dazu hat Hiroko Tanakawa   Bühnenmusik komponiert, die die Wiederkehr des ImmerGleichen beschwört – natürlich auf Japanisch.

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Das gesamte Programm ist grundiert vom Gedanken des Welttheaters – wobei das französische nicht zu kurz kommt. Hier zeigen wichtige Bühnen, was sie in Frankreich in der kommenden Saison aufführen werden – deshalb zieht das Festival auch viele Theaterprofis an.  Olivier Py, der Intendant, präsentiert  sein neues Stück, das er auch selbst inszeniert hat, ein Künstlerdrama in Paris. Von überragendem Interesse auch „Le Sec et l’Humide“ – „Das Trockene und das Feuchte“ – von Jonathan Littell. Littell  hatte kürzlich mit seinem Roman „Die Wohlgesinnten“ weltweit  für Kontroversen gesorgt, indem er einen fiktiven SS-Mann über   seine Zeit während und nach der Nazidiktatur erzählen ließ, wobei er  reihenweise Tabus brach. Jetzt also Littell auf dem Theater.

 

Avignons Flair  ist unverwechselbar. Meist wird abends und nachts unter freiem Himmel gespielt. Eine kühle Brise erfrischt, die Sterne funkeln und hervorragende Schauspieler agieren vor ausverkauften Rängen.

 

Avignon leuchtet.

 

Ulrich Fischer

 

Das Festival d’Avignon dauert noch bis zum 26. Juli. – www.festival-avignon.com