Gott entflieht der Einsamkeit
Urauffführung von Axel Hackes „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“ in Düsseldorf
Von Günter Hennecke
Düsseldorf – Gott ist also doch ein Mann. Kein besonders glücklicher oder gar mit dem zufrieden, was er in 20 Milliarden Jahren geschaffen hat. Das dürfte eifrige Feministinnen freilich auch nicht trösten. Sei’s drum. Düsseldorfs Schauspiel hat kein Problem mit seinen politischen Unkorrektheiten. Das Publikum, gemischt wie im wirklichen Leben, schon gar nicht. Der Bühnen-Bearbeitung einer Erzählung von Axel Hacke (61) durch Robert Koall schlug einhellige Zustimmung entgegen.
Sie galt einem „Mann“ und einem „Gott“, die zuvor, 75 Minuten lang, Hackes luftige Story um einen Gott, den seine Einsamkeit auf die Erde treibt, mehr Wort als Bild haben werden lassen. Was deswegen, bei aller Sprach–Freudigkeit, leider wenig theatralisch wirkte. Vor allem aber viel zu ernst in dieser Uraufführung, die Malte C. Lachmann auf die „Central“– Bühne versetzte. Immerhin kann man einem 29-Jährigen einiges zugute halten. Aber ein wenig witziger hätte er Hackes Text schon umsetzen können. Schließlich lässt der Hacke‘sche „Gott“ bayerische Steinlöwen durch brennende Reifen springen, und zieht aus Wänden Schubladen, in denen sich ganze Welten verstecken – und Verwunderung bei dem „Mann“ auslösen, der wohl für uns alle steht. Und zwar für Männlein wie Weiblein.
Doch endlich zur Hacke-Story, die Gott geradezu melancholisch erscheinen lässt. Hat er doch eine Menge Großartiges schaffen wollen. Und nun, da er sich aus seiner Einsamkeit in das Geschaffene begibt, feststellen muss, dass eine Menge davon schief gelaufen ist. Aber dieser „Gott“, so mächtig er auch zu sein scheint, kann nichts mehr ändern. Ein Typ, der das Böse zudem geschaffen hat, wie er selbst betont, damit das Gute besser erkannt werden kann. Naja, mein Gott!, schwächer kann man philosophisch – theologisch wohl kaum argumentieren.
Da ist also dieser „Mann“ (Moritz Führmann), der, weil ihm nichts einfällt, in den Park geht, wo er von einem graumelierten Herrn angesprochen wird, der sich als Gott erweist. Wie anders hätte der auch wissen können, dass dem Mann auf der Parkbank, nämlich unserem „Mann“, ein Globus auf den Kopf gefallen wäre, hätte der alte Herr ihn nicht vor diesem möglicherweise tödlichen Aufschlag bewahrt: Ehe dieser Globus – man achte auf die tiefere Bedeutung dieses eigentlich banalen Vorgangs – ihn treffen kann, kippt Gott unseren Mann nämlich von der Bank – und der rutscht aus der Gefahrenzone in Sicherheit, während der schwere (Glas–) Globus genau da zerschellt, wo des Mannes Kopf sicher beträchtlichen Schaden genommen hätte. Wäre Gott nicht dazwischen gegangen.
„Grüß Gott“, grüßt übrigens nicht unser Mann, sondern „Gott“ selbst, während von oben, also aus dem Bühnenhimmel, gelber Sand herabrieselt, der sich wenig später in Goldflimmer verwandelt. Auch dazu musste natürlich unser Gott tätig werden, der sich übrigens in den Körper eines 79-jährigen Schauspielers geflüchtet hat, der seit 1960 zum Düsseldorfer Ensemble gehört: in den von Wolfgang Reinbacher. Das muss unserem „Gott“ sehr gefallen haben. Ist Reinbachers 47-jährige Ensemble-Mitgliedschaft, verglichen mit dem eines normalen Lebens als Schauspieler, ja auch so was wie eine „Ewigkeit“. Reinbacher verleiht diesem Gott, der sich zwischen allen Stühle wähnt, zupackend-praktische Züge. Resignativ, gemischt mit etwas Selbstironie, stellt er fest, „An mich glaubt ja keiner“, und: „Niemand hört mir zu“. Dem „Mann“ bleibt derweil nichts anderes übrig, als die Schrullen des Alten zu ertragen, gibt der doch tatsächlich schamlos zu, dass ihm die Existenz des Menschen einst unwillentlich „unterlaufen“ ist. „Ich war jung, als ich den Urknall auslöste“. „An euch“, so Gott weiter, „habe ich dabei gar nicht gedacht.“
Natürlich wird es an diesem Abend auch ernst – und geradezu philosophisch: Weil das Leben keinen Sinn habe, müsse sich der Mensch seinen Lebenssinn selbst suchen. Das „Egal“, das „Gott“ als „Zentrum der Welt“ ausgibt, biete dem Menschen erst die große Freiheit, selbst nach einem Lebenssinn zu forschen. Da endlich gibt unser „Mann“ doch tatsächlich Kontra, wird geradezu rebellisch. „Das Große“ so der Mensch, „ist uns vielleicht egal“, aber „nicht das einzelne Wesen“. Und, schwupp, sehen wir seine Frau und Kinder auf einer Leinwand beim friedlichen Bürger-Frühstück.
Gott, der den Menschen von Beginn an darum beneidet, „dass Ihr nicht alleine seid“, treibt es dann noch zu neuen Ufern: „Vielleicht schaff‘ ich doch nochmal was ganz Neues“, begeistert er sich an sich selbst, Und schon verbreitet sich auf der Bühne der Nebel eines neuen Welten-Anfangs. „Danke“, sagt Gott schließlich dem Mann und übergibt ihm den Dirigentenstab, den er zuvor selbst zur Erschaffung einer besseren Welt zuvor geschwungen hat. So viel Optimismus in der Schlussphase dieses Stückes kann nur der Kunst geschuldet sein: Gott überlässt den Menschen die Regie. Das kann, allen Erfahrungen zufolge, eigentlich nur schief gehen. Noch schiefer als unter Gottes unmittelbarer Regie.
Malte C. Lachmanns Regie spult das alles, ganz dem Text verpflichtet, brav und dabei recht uninspiriert runter. Die kleinen „Wunder“ Gottes in überraschende und witzige, vielleicht gar verstörende Bilder umzusetzen, gelingt einfach zu wenig.
Das hält das Publikum, ob männlich oder weiblich, aber nicht davon ab, begeistert zu applaudieren: Zwei Männern im Zwischenraum von Himmel und Erde.
Aufführungen am 27. November; 1. und 7. Dezember; 75 Minuten ohne Pause; www.Dhaus.de