Das verwirrende Leben einer Frau

Das verwirrende Leben einer Frau

Einbruch von Tracy Letts‘ „Mary Page Marlowe“ am Schauspiel Köln

Von Günter Hennecke

Köln– Er ist Dramatiker und vielfach ausgezeichneter Schauspieler. Für sein Stück „August: Osage County“ wurden ihm 2008 sowohl der „Pulitzer-Preis“ als auch der „Tony Award für das beste Theaterstück“ zuerkannt. Und Meryl Streep stand 2013 vor der Filmkamera, um das Stück des Amerikaners Tracy Letts (56) auch cineastisch aufzuwerten. Vertraut man amerikanischen Kritiken nach der Uraufführung in Chicago, ist sein neuestes Stück, „Mary Page Marlowe“, „schön und ergreifend“. So etwa die „New York Times“.

Leben als Flickenteppich

Nun fand Letts‘ Stück über das vielfältige Leben einer Frau ins Depot 1 des Kölner Schauspiels. In ihm ist alles enthalten, was das Portrait einer vom Schicksal gebeutelten Frau eigentlich bewegend macht. Als Kleinkind ist sie dabei, als Jugendliche durchschreitet sie die 50-er und 60-er Jahre, erlebt Krisen und Chancen, gründet Familien und zerbricht daran. Doch nie lässt die sich unterkriegen. Bis sie 70 ist. Dass Letts’ Stück zeitlich hin– und her springt, die Chronologie oft völlig durcheinander gerät, einem Flickenteppich gleicht, ist dabei nicht nur verwirrend, sondern auch, jedenfalls in dieser Kölner Inszenierung von Lilja Rupprecht,  wenig durchschaubar.

Hauswände als Leinwände

Ein Haus, besser: die Idee von einem Haus steht fensterlos und ärmlich auf der Bühne. Seine Außenwände und Giebel werden recht bald zu Leinwänden, auf denen, von einer Videokamera begleitet und verfolgt, die Figuren in Großaufnahmen und Details erscheinen. Dann wieder entfaltet sich die anfängliche Einfachheit zu Einblicken in ein Treppenhaus und möblierte Mini-Räume. Das Haus ist ein Puzzle aus einzelnen Blöcken. Anne Ehrlichs Bühnenbild ist auf seine Art mitreißend.

Gespräche hinterm Haus

Hätte die Inszenierung doch nur einen Hauch dieses mitreißenden Szenarios. Doch der Abend zerfließt, durchsetzt von nur einigen wenigen überzeugenden Bildlösungen, im Unbestimmten und ist voller Beziehungslosigkeit. Nichts ist für den unvorbereiteten Besucher auch nur in Ansätzen zu verstehen. Dabei fängt die Inszenierung bereits mit einer Belanglosigkeit an: In oder hinterm Haus reden eine Mutter und ihre beiden Kinder miteinander. Mama, erfährt man, wird sich von Papa trennen, will nach Kentucky, wofür die aufschreienden Blagen keinerlei Verständnis aufbringen. Eine Szene zu Beginn, der jede Bildkraft abgeht. Die pure Langeweile beginnt, ehe das Stück so richtig Fahrt aufgenommen hat.Ein Eindruck, der sich im Laufe des Abends weiter verfestigt. Beziehungslos reihen sich die Szenen aneinander. Und der dauernde Darstellerwechsel der Hauptfigur Mary macht die Sache auch nicht besser.

Ich bin nicht die, die ich bin

Neben dem Haus, am Bühnenrand, steht ein Sessel. Auf ihm nimmt Mary Platz. Immer wieder in Gestalt einer anderen. Mal als Kind, dann als junge Frau, dann wieder als schwergewichtige Matrone. Da klingt es, in dieser Inszenierung, nach unfreiwilliger Komik, wenn Mary feststellt, „Ich bin nicht die, die ich bin“. Dann wieder ist sich Mary sicher, „wir werden die Dinge schon schaffen, gemeinsam oder gar nicht“ – und der gerade aktuelle Gatte ergibt sich in sein widersprüchliches Schicksal.

Er ist nackt

Was sie dann aber schaffen, ihr Chef und Mary, ist ein vergnügtes Vögeln, wenn man vom eigentlichen Akt auch nur verbal erfährt. Er ist jedenfalls „froh, dass wir das gemacht haben“, während sie sich nicht ganz so sicher ist. Dass er den „schönsten Schwanz“ hat, dessen ist sie sich aber doch sicher. Weshalb er sich während der Szene „danach“ – sie ist komplett bekleidet – pudelfasernackt über die Bühne bewegt, mal sitzt, sich durch den Raum begibt, den Boden aufsucht, erschließt sich nicht so recht. Es sei denn, das Publikum sollte davon überzeugt werden, dass der von Mary kurz zuvor so eindeutig und positiv benannte Körperteil ihres Chefs einer objektiven Prüfung, sprich der des Publikums, standhält.

Was es nach zwei Stunden an dieser Inszenierung zu bejubeln gab, erschließt sich dem Schreiber dieser Zeilen genau so wenig wie  eine Aufführung, deren Sinn man erahnt, aber schwer erkennbar ist.
Auff.: 28. November; 2., 6., 10., 14. Dezember; www.schauspielkoeln.de