Was die Wahrheit kostet

Was die Wahrheit kostet

Ayad Akhtars „Junk“ am Schauspielhaus in Hamburg zum ersten Mal auf Deutsch

 

HAMBURG.  Ayad Akhtar (*1970 in New York) ist einer der zupackendsten US-amerikanischen Dramatiker unserer Epoche. Mit „Disgraced“ („Geächtet“, Pulitzer Preis 2013), einem Stück über den nicht enden wollenden und sich stets absurd erneuernden Rassismus, und „The Who and The What“, einer tiefgründigen Komödie über die Gefahren, die eine Erneuerung des Islams für die Orthodoxie bedeutet, stellte das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg den Stückeschreiber mit pakistanischen Wurzeln bei uns vor – zwei Kammerspiele. Jetzt folgt ein   Stück für die Große Bühne, „Junk“, Müll. Damit sind schlecht bewertete Aktien gemeint, Thema ist die Bankenkrise.

 

Das Narrativ

 

Im Mittelpunkt steht ein Konflikt.  Thomas Everson, Jr. hat eine Stahlfirma geerbt, die in die Krise schlittert. Robert Merkin, Banker und Inverstor, greift das Unternehmen an, er droht mit einer feindlichen Übernahme. Es geht um den Kampf der Arrivierten, die um den Erhalt ihrer Position kämpfen, mit den ehrgeizigen Neuen, die sie ihnen nehmen und selbst besetzen wollen. Die Angreifer sind Juden, Verteidiger WASPs, angloamerikanische Protestanten – der Kampf trägt also auch, immer wieder variiert,  lang tradierte Vorurteile der Herkunft, einer gegen den anderen. Schmelztiegel USA? Ahmar Akhtar kann da nur schmunzeln.

 

Das Hauptaugenmerk legt der Dramatiker aber auf die feindliche Übernahme. Wie will der Banker den Kauf des Stahlwerks bezahlen? Mit „Junk“ – Müll, wertlosen Aktien, vor allem aber mit Schulden. Ist das möglich? Merkin, der aggressive Investor, ist davon überzeugt:

 

„Was hören wir von klein auf? Sparen ist gut“, lässt Akhtar ihn sagen. „Leihen ist schlecht. Bloß keine Schulden machen. Es ist aber genau umgekehrt. Warum leiht man sich Geld? Um etwas zu tun, etwas zu bauen, neu anzufangen. Schulden stehen für einen Neubeginn. Warum hören wir nicht einfach auf, uns deshalb zu schämen – was könnte das für eine Energie freisetzen! Es wäre die finanztechnische Entsprechung der Kernspaltung. In der Praxis hieße das, der Dow Jones steigt auf fünfzehn, zwanzig Tausend.“ (1.15). Die These ist anfechtbar. Und wird angefochten. Der Banker gerät ins Visier eines Staatsanwalts (der Karriere machen möchte), muss ins Gefängnis, macht aber gleichzeitig einen ungeheuren Profit.

 

Im Gefängnis bleibt er nicht untätig – er  berät seinen Wärter, einen Mann, der nicht nur mit dem Dollar, sondern mit dem Cent rechnen muss. Prima, meint der Banker, und entwickelt aus dem Stand ein Modell, wie der arme Kerkermeister mit seinen Schulden die Grundlage für eine Hypothek  legt, die ihm den Hauskauf ermöglicht. Hier schrillen alle Alarmglocken, denn jeder (nicht nur im Publikum) weiß, dass mit   ungedeckten Hypotheken die Bankenkrise ausgelöst wurde. In Hamburg sieht es auf der Bühne so aus: Es  geht schon wieder los. Die neue Bankenkrise bereitet sich bereits vor …

 

 

Figuren & Dialog

 

Der Dialog ist kristallklar, bis auf wenige Patzer folgt Michael Raabs Übersetzung dieser für das komplexe Thema notwendigen Transparenz – eine gute Voraussetzung für die Konturierung der Figuren. Thomas Everson (Ernst Stötzner spielt ihn als wackeren, aber hilflosen Kämpen) verteidigt mutig sein Erbe, ein schon fast liebenswerter Kapitalist der alten Schule, der sich auch für seine(?) Arbeiter verantwortlich fühlt. Noch interessanter ist sein Gegner, Robert Merkin, der Banker (Samuel Weiss, habgierig und machthungrig). Aber da ist noch mehr: Merkin will neue Horizonte eröffnen. Er will nicht betrügen – das tut er auch, wenn es in seinem Interesse ist – er will aber vor allem neue Grundlagen für den Kapitalismus legen – mehr Möglichkeiten eröffnen, kreativ sein und eine bessere Welt schaffen. Für ihn ist es kein Fake, mit Schulden Käufe zu finanzieren,  für ihn ist es das Einreißen unnötiger Mauern, die nur die Schöpfung einer potenteren Welt verhindern.

 

Das ist die Frage, die offen bleibt: behindern wir uns selbst durch irreführende ideologische Einschränkungen unserer Finanzierungsmittel – oder brauchen wir Grenzen, um Stabilität zu gewährleisten? Die Antwort muss im Publikum jeder sich selbst geben.

 

Die zahlreichen Figuren des Stücks – Analysten, Anwälte, Makler, Journalisten, Staatsanwälte, Arbitragehändler, Investoren, Gefängniswärter und Gewerkschafter – reichen alle nicht an den Pro- und seinen Antagonisten heran. Die meisten wissen nicht was sie tun und handeln aus Habsucht – die mit etwas weiterem Horizont aus Machtgier. Nur eine Frau, die des Bankers, erwägt ernsthaft, ob die neuen Ideen ihres Mannes nicht wirklich schöpferisch sind und der Gesellschaft neue Möglichkeiten eröffnen könnten. Aber die weiblichen Rollen behandelt Ayad Akhtar  stiefmütterlich, sie bilden nur den Hinter-, bestenfalls den Mittelgrund. Seine Welt ist männlich dominiert.

 

Gesellschaft

 

Das Gesellschaftsbild in diesem Stück erinnert an Ayn Rand, eine wichtige Ideologin und Romancière der Rechten in den USA. Nicht der Gegensatz von Arbeit und Kapital bestimmt die Konflikte unserer Gegenwart, sondern der zwischen zwei Fraktionen des Kapitals: die alten Eliten, die nur ihre Privilegien und Vermögen verteidigen, unfähig, wie ihre Väter Neues hervorzubringen – und die neuen, an die Krippe drängenden Möchtegernzilliardäre, die Angreifer. Sie behaupten, nicht ohne gute Gründe, dass die alten Eliten das jetzt geltende Recht geschaffen hätten, um ihre Vorrechte zu verteidigen – deshalb handeln die Jungen nach dem Grundsatz: Legal, illegal, scheißegal. Das Recht ist nicht absolut, sondern in den Händen der Alten eine Waffe, die von den Neuen beiseite geschlagen werden muss.

 

Arbeiter sind in diesem Dreiakter keine bedeutsame gesellschaftliche Kraft – dem Gegensatz von Arbeit und Kapital setzt Akhtar die Kämpfe zwischen den Kapitalisten entgegen, ein neues/altes Modell, das die Arbeit als gesellschaftliche Kraft marginalisiert.

 

Was kostet die Wahrheit?

 

Das Stück ist reich – eine Nebenhandlung mit einer Nebenfigur ist besonders gelungen: Chen ist eine junge Journalistin. Sie will sich mit Investigativreportagen einen Namen machen und erläutert dem Publikum komplexe Aspekte des Raubtierkapitalismus als epische (Brecht)Figur erklärend oder mit Heuschrecken-Interviews. Sie hat ihren Plan, ein Buch zum Skandal zu veröffentlichen, weit vorangetrieben, als sie ein Gespräch über kritische Stellen mit dem Anwalt des Angreifers führt. Der dreht das Gespräch: Was kann sie als Honorar für ihr Buch erwarten? Wenn es ein Bestseller wird – wie viel? Wenn der Erfolg zusätzlich noch   für einen Film umgeschrieben wird – wie viel? Und wenn man diese Summe vervielfältigt? Auf ein paar Millionen mehr oder weniger kommt es nicht an – Peanuts! Für Chen ist es die Gewissensfrage: Aufklärung oder ein komfortables, arbeits- und stressfreies Leben. Sie entscheidet sich für letzteres. Geld fressen Gewissen auf! – eine kurze Szene, die das Zerstörerische dieses aggressiven Kapitalismus‘ ins hellste Licht setzt. Neben- und Haupthandlung stützen sich wechselseitig.

 

Bühnenbild

 

Marie Roths Bühnenbild ist abstrakt. Um die Absprachen und Intrigen zu  zeigen, werden die Darsteller, die an einer Wand nebeneinander aufgereiht stehen, nahe der Rampe schnell mit Spots aus dem Dunkel hervorgehoben – der Handlungsraum ist eine geistige Sphäre. Eine Schwäche des tollen, gut gebauten und geistreichen Spiels ist seine Komplexität. Zwölf wichtige Figuren werden von noch einmal so vielen Nebendarstellern begleitet. Der Dramatiker fordert das Publikum.

 

Inszenierung

 

Aber Regisseur Jan Philipp Gloger meistert die Herausforderung – die Figuren sind unterscheidbar, die Handlung ist, obwohl rasch gespielt wird, gut überschaubar. Die Dynamik reißt mit, viele Szenen sind witzig – und das Ensemble darf zeigen, was es kann.

 

Ein starkes Stück, eine geglückte Inszenierung. Ayad Akhtar war zur Erstaufführung eigens nach Hamburg gekommen; er kann zufrieden sein: Begeisterter, langanhaltender Applaus.

 

                                                                           Ulrich Fischer

 

Aufführungen am 19., 23. und 29. 4. Spieldauer: ca. 2 Stunden