Demokratie besiegt Vernunft und Gewissen

Demokratie besiegt Vernunft und Gewissen

Mit einem starken „Charles III.“ startete das Neusser „Shakespeare-Festival“ in seine 28. Saison

Von Günther Hennecke

Neuss – Das Volk hat immer recht? So ein Unsinn! Hieße das doch (auch), dass sein Urteil immer im Interesse der Gesamtheit ausfiele. Allein der Name Trump lehrt uns eines Besseren. Kann es also nicht vernünftiger sein, wenn ein Souverän, den sich die Griechen als Philosophen vorstellten, dem Volk die Leviten läse – weil und wenn es gegen alle Vernunft urteilt? So geschieht es im Königreich Britannien, korrekter: in Mike Bartletts „Future History Play“ namens „Charles III.“, 2014 in London uraufgeführt und nun als Deutsche Erstaufführung von der „bremer shakespeare company“ auf die Neusser „Globe“-Bühne gebracht.

Am Ende steht der Sturz

In ihm sieht sich Charles, der (frühere) Prince of Wales, nun König, mit der Forderung konfrontiert, ein Gesetz abzusegnen, das die Pressefreiheit einschränken würde. Charles‘ „No!“, sein Auftrag und dringende Bitte, den Gesetzentwurf, von Regierung wie Opposition bereits beschlossen, noch einmal zu überdenken, führt am Ende zu seinem Sturz – und spült ihn zugleich auf einer Sympathie-Welle weit nach oben.

Das Gewissen soll entscheiden

„Die Königin ist tot! Es lebe der König!“ Die Königin ist Elisabeth II., der König ihr Sohn Charles, auch nicht mehr der Jüngste und Unumstrittenste. Doch er erweist sich als ernsthaft und äußerst gewissenhaft bei seinen Entscheidungen. Kaum auf dem Thron, fühlt er sich zum bloßen Abnicker degradiert: Gemäß der Tradition und gesetzlicher Vorgaben soll er ein Gesetz absegnen, das ihm gegen den Strich geht und weigert sich, „puppenhafter Doppelgänger“ eines Monarchen zu sein. Ausgerechnet bei einem Gesetz, das ihn und seine Diana einst vor Indiskretionen billigster Art geschützt hätte. Doch er bleibt konsequent und pocht auf sein Gewissen. Weniger Presse-Freiheit? Ohne ihn.

Des Königs Moral spaltet das Land

Stefan Ottenis Inszenierung weiß das Macht- und Moral-Spiel bestens zu strukturieren. Solange sich Charles‘ moralische Ansprüche im politischen Raum bewegen, der König sich mit dem (Labour–) Premierminister Tristan Evans (Erik Rossbander) und dem Tory-Oppositionsführer Mark Stevens (Michael Meyer) auseinandersetzen muss, ist seine moralische Welt noch in Ordnung – auch wenn er die politische Welt des Königreichs spaltet. Doch erst die internen Auseinandersetzungen mit Sohn William (Markus Seuss) und seiner machtbewussten Kate (Petra-Janina Schultz), dem rothaarigen Wuschelkopf Harry (Tim Lee) und seiner in der Presse „entblößte“ und erniedrigte Jessika (Therese Rose) verdichten die zuvor recht flotte und nicht selten auch oberflächlich-burleske Inszenierung zu einem tragischen Fall.

Von weitem grüßen „Macbeth“ und „King Lear“

Da sich auch Dianas Geist immer wieder einmal zeigt, von den Söhnen beschworen und angerufen, drängen sich, nicht nur in diesen Szenen, Gedanken an Shakespeares „Macbeth“ auf. Und wenn Charles, abgelöst und gedemütigt durch seinen Sohn William – der natürlich nur im Interesse des Landes und des britischen Königshauses handelt – immer mehr in die Einsamkeit abrutscht, ist die Nähe zum Schicksal von „King Lear“ greifbar.

Charles fegt den Dreck von der Bühne

Zum Schluss schwingt sich William als „William IV.“ auf Britanniens Thron – und der abgehalfterte Charles fegt, im allerletzten Bild, mit einem Besen den Bühnenboden: Weg mit all dem Dreck politischer Ränkespiele. Ob er es schafft? Ob er zudem jemals in die Galerie seiner berühmten Vorgänger gelangt, die als lebendige Gemälde sprechen und sein Leben boshaft kommentieren, ist zu bezweifeln. Doch Autor Bartlett, Stefan Otenis Regie und vor allem Peter Lüchinger als bravourös-tragische Königs-Figur verleihen ihm einen  Grad von Würde, die der reale (Noch-) Prinz auf Wales äußerst selten erlebt haben dürfte.

Ein Abend, dessen Mischung aus Realität, Aktualität und Zukunfts-Fiktion zu begeistern vermag. Begeisterter Applaus dankte denn auch nach drei Stunden dem Team aus Bremen. Im Geiste Shakespeares und seinem „Globe“  – am Rhein.
www.shakespeare-festival.de