Eine Jahrhundert-Schlacht erstickt in Langeweile

Eine Jahrhundert-Schlacht erstickt in Langeweile

Enttäuschende Inszenierung von „King Henry V.“ aus Bristol beim „Shakespeare-Festival“ in Neuss
Von Günther Hennecke
Neuss – Das Bemerkenswerteste gleich vorab: Dem Neusser „Shakespeare-Festival“ wurde die Ehre zuteil, dass die britische Truppe  „The Tobacco Factory“ ihre neueste Produktion als Premiere nicht im heimatlichen Bristol, sondern im zwölfeckigen „Globe“-Nachbau auf der Galopprennbahn in Neuss präsentierte.
Nichts als Worte im 100-Jährigen Krieg
Das weniger Erfreuliche: Elizabeth Freestones Inszenierung von Shakespeares „King Henry V.“, wohl 1599 entstanden und in eine der entscheidenden Phasen während des 100-jährigen Krieges eintauchend – hier in die Jahre von 1414 bis 1470 -, stirbt im unendlichen Sprach- und Wortschwall des Stücks. Kaum etwas wird durch szenische Vielfalt oder Bilder aufgebrochen oder sichtbar gemacht. Allein die erste der insgesamt dreistündigen Aufführung stirbt im puren Text-Abliefern einen langen Tod. Dass das schauspielerische Dutzend damit die zunehmend lähmende Langeweile nicht aufhalten kann, darf nicht verwundern.
Vernichtender Kampf zweier europäischer Nationen
Eine ganz andere Frage stellte sich bereits bei der Ankündigung des Königs-Stücks, das einen vernichtenden Kampf zweier europäischer Nationen zum Thema hat. In dem sich zudem die schönsten Klischees zu Briten und Franzosen die Hand reichen. Soll das etwa zu Brexit-Zeiten ein wie auch immer aussagekräftiges Zeichen sein
Unverständliche Stückwahl
Sei’s drum. Freestone, durch ihre Zusammenarbeit mit „Shakespeare’s Globe“ und der „Royal Shakespeare Company“ eigentlich eine erfahrene Theaterfrau, wusste dem Text so wenig abzugewinnen, dass der Griff nach diesem Kriegsdrama erst recht nicht verständlich wird.
Ein Erzbischof reizt zum Kampf der Völker
Doch worum geht’s? „Henry V.“, im „Heinrich IV.“ noch der Prinz, gerät, vom Erzbischof von Canterbury aufgestachelt, in einen Krieg mit Frankreich. Hat er doch, wie ihm indoktriniert  wird, Anspruch auf den französischen Thron.  Blut fließt freilich schon vor der entscheidenden Schlacht bei Azincourt, die Henry für sich und England entscheidet. Natürlich „mit Gottes Hilfe“, wie der „von Gott Gesalbte“ weiß: Noch auf der Insel  werden ein Sir, ein Lord und ein Graf, von Franzosen bestochene Verräter, hingerichtet.
Endlich ein Hauch von szenischem Theater
Dann geht’s zur Sache – im Feindesland. Endlich tut sich auch was auf der Bühne und, drinnen hörbar, selbst außerhalb des Theaterraums. Die Kämpfer drängen nach draußen, schlagen offenbar tödlich zu – und kommen zurück. Müde, abgekämpft und dennoch den Sieg erstrebend. Wild und entschlossen gehen sie zurück in die Schlacht, kommen wieder zurück, streben erneut ins Getümmel außerhalb des „Globe“. Und so weiter.
Patriotischer Kitsch – und eine französische Prinzessin in Henrys Bett
Immerhin entwickelt sich ein Hauch von Dramatik. Und der Wille wird erkennbar, dem Text szenisch packende Bilder zu entreißen. Aber letztlich bleibt auch dieser Versuch nur ein Zeichen. Dass am Ende, nachdem 10.000 Franzosen tot auf dem Schlachtfeld bleiben, aber nur 29 Engländer das Zeitliche gesegnet haben sollen –  patriotisch verkitschter geht’s nimmer -, Heinrich die französische Prinzessin Katharina legal ins Ehebett bekommt – naja!.
Immerhin ist der Krieg erst einmal zu Ende. Jedenfalls auf der Bühne. In einer Welt, die, Gott sei Dank oder leider, keinen wirklich erfreulichen Blick in die Zukunft zulässt. Ist das die Intention dieser Stückwahl? Armes Europa.