Heiner Goebbels: „Die Ruhrtriennale ist eines der besten Festivals der Welt“

Foto: Wonge Bergmann für Ruhrtriennale
Foto: Wonge Bergmann für Ruhrtriennale

Heiner Goebbels‘ Zeit als Leiter der Ruhrtriennale neigt sich ihrem Ende zu.

 

 

Die Ruhrtriennale, 2001 gegründet,  ist eines der jüngsten Festivals in Europa. Dennoch gehört sie schon jetzt zur Spitzengruppe wie Avignon, Salz- und Edinburg(h).

 

BOCHUM (dpa) – Heiner Goebbels (62) ist Avantgardist: als Komponist, als Regisseur, als Hörspielautor und als Professor am berühmt-berüchtigten Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Nicht zuletzt deshalb wurde er zum Leiter der Ruhrtriennale berufen. Nach drei Jahren als Intendant hat er die Stellung der Ruhrtriennale als eines der führenden europäischen Sommerfestivals gefestigt. „Ich glaube, die Ruhrtriennale ist eins der besten Festivals der Welt“, sagte Goebbels im Gespräch der Nachrichtenagentur dpa.

 

Frage: Herr Goebbels, Ihre Zeit als Intendant der Ruhrtriennale neigt sich nach drei Jahren ihrem Ende zu. Bedauern Sie, dass Sie nicht noch länger Zeit haben oder sind Sie froh, die Bürde los zu werden?

Antwort: Ich habe das nie als Bürde empfunden. Und für mich ist es das perfekte Zeitmaß. Der Wechsel nach drei Jahren tut einem Festival gut, wenn man das so interpretiert, wie ich es versucht habe: als Angebot einer sehr persönlichen zeitgenössischen Ästhetik. Danach kommt jemand anderes und setzt die Schwerpunkte neu.

Frage: Was ist Ihnen besonders gut gelungen? Was war der größte Flop?

Antwort: Ich mache kein Ranking. Das wird auch jeder anders bewerten. – Ich habe versucht, eine Ästhetik zu vermitteln, von der ich glaube, dass sie den Theaterbegriff erweitert. Eine Erweiterung dessen, was uns die institutionellen Theater- und Opernhäuser präsentieren. Und ich habe mit der Freiheit, die wir hier haben, versucht, alles kompromisslos dem Primat der Kunst zu unterwerfen. Ich bin überrascht, wie offen und neugierig das vom Publikum angenommen wurde.

Frage: Anders als die meisten Ihrer Vorgänger haben Sie sich selbst ins Getümmel gestürzt, Sie haben nicht nur geleitet und gemanagt, Sie haben auch inszeniert und eigene Arbeiten gezeigt. Bietet die Ruhrtriennale als Festival ein gutes Podium?

Antwort: Ich glaube, das ist eins der besten Festivals der Welt! Erstens, weil die Spielorte, die Industriedenkmäler, eine Herausforderung, aber auch eine große Chance für die Künstler sind. Zum zweiten, weil das Festival die Möglichkeit hat Neues zu produzieren, nicht nur einzuladen. Das Dritte ist das Publikum, das mit großer Offenheit diesen Weg mitgetragen hat. Wir haben eine hohe Auslastung, fast 92 % wie letztes Jahr.

Frage: Wie leistungsfähig ist die Ruhrtriennale? Was könnte, sollte man an ihr verbessern?

Antwort: Wir haben versucht, das Publikum entscheidend zu verjüngen, das ist uns auch gelungen. Daran kann man weiterarbeiten.

Ich hab mich vom Repertoire gelöst und schon zu Beginn gesagt, ich möchte hier Dinge zeigen, die man woanders nicht sehen kann und die woanders nicht entstehen können. Produktionen, die die institutionellen Genregrenzen ignorieren und auch bildende Kunst. Das muss aber jeder künstlerische Leiter für sich selbst beantworten. Johan Simons, mein Nachfolger, braucht da keinen Ratschlag. Er ist ein erfolgreicher Theatermacher und Intendant; ich denke, er hat schon seinen Plan.  

Frage: Sie werden nicht müde zu beteuern, jeder sei willkommen, kein Besucher der Ruhrtriennale brauche irgendeine Vorbildung, ein Festival für alle. Stimmt das wirklich? Bei einem Avantgardefestival, in dem Schönberg vertanzt wird oder eine Sopranistin Alban Berg singt? Ist die Ruhrtriennale nicht unendlich elitär?

Antwort: Nein. Vor dem Neuen sind wir alle gleich. Ob gebildet oder nicht. Und wir zeigen sehr wenig Produktionen, die textlastig sind, denn Bucherfahrung könnte eine Hürde sein. Es gibt hier eher Sprachen zu hören, die wir nicht verstehen, die uns auf anderem Wege erreichen. Der Publikumszuwachs beweist noch einmal, dass Zugänglichkeit kein Gegensatz sein muss zu einem zeitgenössischen Kunstbegriff.

Frage: Wie lautet Ihr Fazit – in einer Nussschale?

Antwort: Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber dem Team, gegenüber den Künstlern, die die großen Herausforderungen der Räume angenommen haben, und gegenüber dem Publikum.

Frage: Wie geht es bei Ihnen weiter – nach Ihrer Zeit als Intendant?

 

Antwort: Ich geh‘ wieder an die Uni zurück, das hatte ich sehr reduziert. Und ich möchte wieder komponieren – dazu bin ich schon seit 2008 nicht mehr gekommen.

 

Frage: Herr Goebbels, Sie sind Träger des Ibsen-Preises, Professor an einem tonangebenden Institut, Intendant der Ruhrtriennale, Ihre Werke werden in aller Welt an hervorgehobener Position präsentiert und diskutiert:   Welche Verantwortung trägt ein großer Künstler wie Sie in unserer Zeit?

 

Antwort: Ich kümmere mich um den Nachwuchs. Ich möchte, dass eine neue Generation zu ihrer eigenen Ästhetik finden kann. Sie soll nicht kopieren, was ich tue; das ist nicht die Art, wie ich lehre.

 

Und Verantwortung fängt für mich da an, wie man miteinander umgeht. Auch als Regisseur, gerade als Regisseur. Das Theater ist ja eine Kunstform, die noch voller antiquierter Hierarchien ist.

 

Politik ist vor allem eine Frage der Haltung, nicht eine Mitteilung von der Bühne herab. Ich glaube, was auf der Bühne geschieht, hat mit der Realität erstmal nichts zu tun. Das Publikum, selbst  die Kinder, sind erwachsen genug, das, was sie sehen, mit der Realität in Verbindung zu bringen. Ich hab keine Antworten für andere Menschen, aber ich kann die Fragen, die ich habe, teilen. Es ist auch eine wichtige Verantwortung, die man als Künstler hat, nicht zu glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein. Und zu akzeptieren, dass ein Publikum vielleicht etwas ganz anderes in dem sieht, was man tut.

 

Die Fragen stellte Ulrich Fischer

 

ZUR PERSON: Heiner Goebbels, 1952 in Neustadt an der Weinstraße geboren, studierte Soziologie und Musik in Freiburg und Frankfurt am Main und war Mitbegründer des „Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters“. Er hat über 20 CDs veröffentlicht und gehört zu den wichtigsten Exponenten der zeitgenössischen Musik und des Theaters. Seine Kompositionen werden weltweit gespielt und aufgeführt.

Goebbels ist Musiker, Komponist, Regisseur, Hörspielautor, Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und Präsident der Hessischen Theaterakademie. Seit 2012 leitet er die Ruhrtriennale, 2012 wurde er auch mit dem Internationalen Ibsen-Preis ausgezeichnet.