„Lerne leben ohne zu kotzen“

„Lerne leben ohne zu kotzen“

Arnold Brunnens „Rheinische Rebellen“ am Schauspiel Köln
Von Günther Hennecke
Köln – Er war ein menschliches Chamäleon  der Extraklasse. Mit seinem Theaterstück „Vatermord“ wurde er 1920 bekannt. Mit dem expressiv-linksliberalen Österreicher, 1895 in Wien geboren, teilte Kollege Bertolt Brecht sogar zeitweise die gleiche Wohnung. Die Duett-WG verschwand freilich wieder aus den Schlagzeilen, als sich der Linke Arnolt Bronnen in einen Rechten verwandelte: Als er nämlich, Ende der Zwanziger Jahre, mit dem Freikorpsroman „O.S.“ die Feuilletons verwirrte. Und Brecht dem einstigen Zimmergenossen die Freundschaft aufkündigte.
Goebbels protegierte den Juden Bronnen
Seine Stelle nahm, um im falschen Bild zu bleiben, Joseph Goebbels ein. Er verschafft dem Wiener, mittlerweile 38, die Position des Programmleiters des „Reichsrundfunks“. Ob dem Rheinländer aus Rheydt dabei  bewusst war, dass er einen Juden protegiert hatte, sei dahingestellt. Immerhin wurde der Goebbels-Günstling dann 1937 aus der Reichsschrifttumskammer eliminiert. Zurück in seiner Geburtsstadt, erfreute Bronnen eine kommunistische Wiederstandsgruppe mit seiner Mitgliedschaft.
Von Linz nach Ostberlin
Politisch endgültig links blieb er für längere Zeit: Von 1945 bis 1950 war er Kulturredakteur des Kommunisten-Blatts „Neue Zeit“ in Linz. Später folgte er brav dem Ruf des DDR – Kulturministers und Poeten Johannes R. Becher nach Berlin, wo Arnolt Bronnen, bürgerlich „Arne“ Bronnen, bis an sein Lebensende als Theaterkritiker wirkt.
Zeit radikalen Wandels 
Doch zur Sache. Das Schauspiel Köln sah sich diesen „Verwandlungskünstler“ näher an – und stieg mit dessen Stück „Rheinische Rebellen“ von 1925 in eine Zeit, die mit allen Zeichen eines radikalen Wandels, großer Unsicherheit und zeitlicher Verwirrung aufwartete: Deutschland war, nach der Katastrophe des 1. Weltkrieges, um seine Mitte gebracht. Separatisten und ihre Ideen beherrschten, wenn auch nur relativ kurz, die politische Szene. Preußen war passé, Berlin das Zentrum allen Übels. Besonders im Rheinland war die Loslösung vom katastrophal gescheiterten  „Reich“ eine Option voller Emotionen.

Hektik und Geschrei 

Es war eine hektische, eine wirre Zeit. Eine Epoche, in der Besinnung und Nachdenklichkeit keine Chance hatten. Aktion war Trumpf, Kampf um jeden Preis durchzog die Gesellschaft. In diese Zeit versetzte  Bronnen sein Drama um Revolution und Liebe. Sebastian Baumgartens Inszenierung im Depot 1 des Kölner Schauspiels ist von Beginn des zweistündigen Perforce-Rittes an ein radikaler  Blick in eine Zeit völliger Unsicherheit, in der die leisen, die nachdenklich-überlegenen Szenen kaum Chancen haben. Hektik und Geschrei durchziehen Stück wie Inszenierung. Gestört sind hier alle Sicherheiten.
Aggressives Rot bestimmt das Bild
Krachend laut ist der Beginn. Es knallt und kreischt an allen Ecken. Das Bühnenbild (Thilo Reuther), eine meist in aggressives Rot getauchte Welt mit Telefonzellen, geheimen Türen und Treppen, aufgepeppt durch schwarze Brandflecken, ist Projektionsfläche dieser Welt. Eine riesige schwarzrote Hand, deren Handgelenk mit einer Kette an den Boden gefesselt ist, beherrscht den Hintergrund der Bühne. Ein sprechendes Bild für das Scheitern der angestrebten Abspaltung des Rheinlandes vom „Reich“. Auf laufenden Sprachbändern wird die Gegenwart der Zwanziger Jahre beschworen, riesige Video-Einspielungen zeigen Aufmärsche und Kriegshandlungen. Das Rheinland – ein Hexenkessel.
Gefühlsverwirrungen gegen Rebellion
In diesen Hexenkessel stürzen Bronnen und Baumgartens Regie ein Paar, dessen Gefühle in hektischen Wortgefechten immer wieder zerfleddern. Occc, auch Charles genannt (Jörg Rathen), selbsternannter Separatistenführer, ist zugleich Wachs in den Händen Polas (Yvon Jansen). Doch die eigentlichen Gefühlsverwirrungen haben da noch gar nicht begonnen. Der stets übernervös wirkende Occc verliebt sich schließlich in ein Geschwisterpaar. Mal ist Gien (Carolin Conrad) an der Reihe, dann auch Erle (Kristin Steffen), ihre Schwester und zugleich politisch völlig anders gepolt.
Zunehmend banal
Von nun an gerät die Rebellion mehr und mehr in den Hintergrund. Und die Frage drängt sich auf: Was wollte Bronnen eigentlich? Und was rechtfertigt die Inszenierung eines Stücks, das mehr zu sein vorgibt als es einlösen kann? Es rutscht nämlich zunehmend in eine banale Gefühlsorgie, in der die beschworene Rebellion nicht mehr ist als ein sich expressiv gebendes Wortgetöse.
Keine Sonne mehr überm Rheinland
Baumgartens Regie gelingt es gleichwohl, das Drama nicht in völlige Bedeutungslosigkeit abrutschen zu lassen. Dass Occc am Ende, anders als in der Vorlage, trotz eines gezielten Pistolenschusses von Gien auf ihn weiterleben darf, die Fahne der Separatisten hochhaltend, überrascht. Doch Gien nimmt ihm die Flagge ab und verbrennt das Grün-Weiß-Rote Tuch in einer Tonne – und aus ist es mit der Separatisten-Herrlichkeit. Von der von ihr beschworenen „Sonne über Düsseldorf“, „Koblenz“, ja sogar „über Berlin“ bleibt kein Schimmer.
Sexuelle Gier statt Rebellion
Was bleibt, ist banal: Bronnens Rebellion  scheitert an der sexuellen Gier eines ihrer Führer. Sollte und musste sie vielleicht scheitern, um Deutschland zu retten? Wenig später erregte der jüdische Autor aus Wien das Wohlwollen Goebbels‘. Bis auch dieses Drama sein Ende fand.
Auff.: 12., 15., 16. Dezember; 2 Std. Ohne Pause; www.schauspielkoeln.de