Guter Jahrgang

 

Vergleich europäischer Sommerfestivals

 

Am 28. September, ging mit der Ruhrtriennale die Saison der großen europäischen Sommerfestivals zu Ende. Welches war das „Besteste“? Salzburg? Avignon? Edinburgh? Oder die Ruhrtriennale?

 

Schlusslicht Salzburg

 

Die gute Nachricht zuerst: Es war ein starker Jahrgang. Die schlechte Botschaft: Wie in den letzten Jahren öfter trägt Salzburg die rote Laterne. Das liegt an der konservativen Leitung des berühmten Festivals – die Oper bekommt schlechte Noten und das Schauspiel, sowieso am Katzentisch, kann das nicht ausgleichen. Sogar ein österreichischer Genieblitz wie „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus wurde von Regisseur Georg Schmiedleitner verharmlost. Salzburg bot nur ein wirklich widerständiges Schauspiel auf, Duncan MacMillans Antikriegsstück „Forbidden Zone“: Die „Verbotene Zone“ erreichte allerdings dank Katie Mitchells souveräner Uraufführungsinszenierung europäisches Format. Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

 

Frankreich

 

Avignon bekam einen neuen künstlerischen Leiter, Olivier Py: Dramatiker, Theaterleiter und Regisseur, der auch bei uns in Deutschland schon inszeniert hat. Py musste sich gleich bewähren, denn die Intermittants, die Theaterleute ohne festen Vertrag, drohten mit Streik. Ihre Stellung in der Arbeitslosenversicherung soll verschlechtert werden, dagegen wehren sie sich. Py reagierte souverän, band den Streik und das Anliegen der schlechter verdienenden Kollegen in das Festival ein, das so ein ganz besonderes Flair erhielt, dem Geist des Festivals entsprechend: Es geht nicht nur um besseres Theater, es geht um ein besseres Leben. Um Demokratie. – Viele Inszenierungen stimmten, nicht zuletzt eine kritische Deutung von Kleists „Prinz von Homburg“.

 

Schottland

 

Edinburgh ist eigentlich nur besser, weil neben dem International Festival das Fringe um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlt. Das Fringe ist die Mutter aller Fringes, aller Festivals Freier Gruppen, das Angebot übertrifft alle Erwartungen. Früher gab es einen Abgrund zwischen International und Fringe, inzwischen haben   die beiden ungleichen Brüder sich angenähert – in diesem Jahr wurde sogar eine Brücke gebaut. Rona Munro glänzte zur Eröffnung des International mit einer Trilogie zur Geschichte Schottlands im 15. Jahrhundert. Rona Munro hat als Dramtikerinnenküken im Fringe angefangen, jetzt gelang der schottischen Meisterdramatikerin der Sprung ins International. Natürlich war Munros Trilogie ein Beitrag zur aktuellen Diskussion, ob Schottland aus dem Vereinigten Königreich austreten soll. Hochpolitisch.

 

Dennoch überglänzte das Fringe mal wieder das International, z. B. mit der Uraufführung von John McCanns „Spoiling“ – auf Deutsch „Verderben“. Hier gelang es dem jungen Dramatiker in knapp einer Stunde all die Fragen aufzuwerfen, für die Munro einen langen Theatertag brauchte. Das Kernproblem wird hell ausgeleuchtet: Was bedeutet es, Freiheit zu erwerben, sie zu verteidigen und Autonomie zu bewahren.

 

Ruhrgebiet

 

Schwer zu sagen, ob die ruhrtriennale genau das gleiche Gewicht auf die Kunstwage wuchtet wie Edinburgh. Intendant Heiner Goebbels hat für sein Festival ein reiches Programm zusammengestellt, das dem Anspruch der ruhrtriennale, ein Avantgardefestival zu sein, Rechnung trägt. Goebbels nutzt sein Festival auch für eigene Arbeiten, seine Inszenierung der deutschen Erstaufführung des Musiktheaterwerks „De Materie“ des niederländischen Komponisten Louis Andriessen ist geglückt, das Werk selbst eine Trouvaille. Ein Höhepunkt der ruhrtriennale, der allerdings von einem Meister noch überstrahlt wurde, von Romeo Castellucci: er schuf eine völlig neue Choreographie zu Strawinskys „Sacre du printemps“. Castellucci lässt keinen Tänzer auf die Bühne, nur Maschinen und Knochenmehl von   Rindern. Die befremdliche Aufführung wächst sich zu einer kompromisslosen Parteinahme für die Tiere aus – eine Dekonstruktion sonder Maßen: Strawinskys Musik klang roh, barbarisch – wie befreit von den Ketten der Konvention.

 

Wer denn nun?

 

Ein Meisterwerk wie keines in Edinburgh, in Avignon – und in Salzburg schon gar nicht.

 

Aber das Fringe wiegt schwer! Wem soll der Siegeslorbeer zugesprochen werden? Edinburgh? Bochum, Duisburg und umzu, also: Der Ruhrtriennale?

 

Edinburgh hat den Lorbeer verdient. Wegen der beiden konkurrierenden Brüder, dem International und dem Fringe. Der Wettbewerb entbindet eine Dynamik, die der Kunst gut tut. Die Zuschauer profitieren.

 

Edinburgh leuchtet!

 

Ulrich Fischer