Kannibalen wie du und ich

Kannibalen wie du und ich

Nestroys „Häuptling Abendwind“ im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg

 

HAMBURG.   Kritische  Dramatiker vergleichen gern die Welt mit etwas Unangenehmem, um zu zeigen, was sie von ihr halten, Brecht beispielsweise mit einem Schlachthof, Nestroy in „Häuptling Abendwind“ mit von Menschenfressern bevölkerten Südseeinseln. Die Kannibalen sprechen Weanerisch. Das lässt tief blicken.

 

Christoph Marthaler nimmt in seiner Inszenierung für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg die Geschichte auf: Häuptling Abendwind empfängt seinen Kollegen, Häuptling Bieberhahn, von einer Nachbarinsel. Die beiden erwägen, ihre Kinder miteinander zu verheiraten – was am Ende auch, wie in jeder guten Komödie – eigentlich ist das Stück eine Operette – glückt.

 

Marthaler gräbt aber tiefer, sucht die Schärfe von Nestroys Witz, gibt sich nicht zufrieden mit ein paar Lachern. Im gelingt eine Szene, in der das Inhumane sichtbar und fühlbar wird – was dem Kultivierten zu Grunde liegt. In sich vornehm gerierenden Restaurants sagt der Ober, wenn er einen neuen Gang bringt, an, was er serviert. Am besten auf Französisch, das soll die Sprache der Kulinarik sein. Wenn hier von Hoden, Nieren und Leber die Rede ist, spielt Nestroy auf Menschen an, deren Körperteile serviert und verzehrt werden. Dieser hohen Kochkunst liegt Barbarei zu Grunde – noch verstärkt durch den Anblick des Kochs: Marc Bodnar spielt Ho-Gu (Haut Goût) in schmierigem Unterhemd und mit eingesetzten künstlichen Zähnen – alle Schauspieler tragen zu große Gebisse: der Kannibalismus verzerrt den Mund zur Kenntlichkeit: Zur Fresse.

 

Und eine zweite Episode transportiert Nestroys treffsicheren Witz: Eine Talkshow. Die Eingeladenen reden über ein Thema, das nie klar wird. Jeder tut sich wichtig und die Zeit vergeht, obwohl alles auf der Stelle tritt. Josefine Israel spielt die Talkmeisterin – meisterlich. Sie übertreibt nicht, sondern ähnelt den eleganten, makellos gekleideten, überlegen lächelnden Damen, die wir von unseren Bildschirmen kennen, wie ein Ei dem anderen. Jene Intelligenz, die sich erschöpft im Ausgleichen von Standpunkten, die nie eingenommen oder erklärt werden. Hier gewinnt die Inszenierung den Scharfsinn Nestroys: Das ist subversiv. Wer diese Szene gesehen hat, kann nie wieder eine Talkshow sehen, nie  wieder eine Talkmeisterin hören, ohne innerlich zu grinsen, ohne zu bemerken, dass hier Wichtigtuerei sich spreizt und Probleme keinen Schritt ihrer Lösung näher gebracht werden. Witz. Guter Witz. Böser Witz. Wie in des Kaisers neuen Kleidern: der Monarch ist nackt, das Kind lacht.

 

Aber neben diesen zwei Szenen stehen viele, die schwach wirken, langweilig, zäh. Marthaler sei Dank übergipfelt am Ende noch die Apotheose die Satire: Die Talkmeisterin – im Stück heißt sie „Mikrophonistin“! – überreicht den Kannibalen, die im Halbkreis im Prunksaal von Häuptling Abendwind stehen, erst mal einen Orden, dann noch einen und schließlich funkelnde Pokale. Die „Elite“ feiert sich selbst, dazu Krönungs- und Königsmusik im Hintergrund.

 

Überhaupt: die Musik und die Schauspieler tragen viel zum Gelingen des Abends bei, der freilich noch besser geworden wäre, wenn er kürzer, knapper, konzentrierter gewesen wäre.                                                                                                                                                       Ulrich Fischer

 

 

Nächste Aufführungen am 18. und 21. 2.; 25. und 26. 3. – Spieldauer: ca. 2  ¼ Stunden.