Politische Lügen-Gesellschaft wird entzaubert

Blendende „Coriolan“-Inszenierung von Tilman Köhler in Düsseldorf

Von Günther Hennecke

Düsseldorf – Ob William Shakespeare seinen „Coriolan“ auf der Bühne, in seinem Londoner „Globe“ oder anderswo, selbst erlebt hat, ist fraglich. Das Römer-Drama gehört, erst 1623, also sieben Jahre nach seinem Tod (1616) gedruckt, wohl zu seinen späteren Werken, entstanden um 1608. Berühmt und zum Helden wurde Gaius Marcius durch seinen Sieg über die Volsker, seit alters her Todfeinde Roms, und die Eroberung der Stadt Carioli im südlichen Latium. Seitdem trug er den Ehrennamen Coriolanus.

Ein Held wird zur Hassfigur

Doch der Kriegsheld war auch Aristokrat, der die „Plebs“, das „gemeine (römische) Volk“, verachtete. Es war für ihn, gebündelt in der Volksversammlung, ein „Tier mit vielen Köpfen“. Zuerst geliebt und verehrt, wird Coriolan zunehmend zur Hassfigur – und für Sir William Anlass für eine Tragödie. Plutarch, der griechische Historiker und Literat (50-120 n. Chr.), ist seine Quelle.

André Kaczmarczyk – überragender Coriolan

Hier die politische Führung, dort das Volk – eine dankbare dramatische Polarität. Eigentlich kein Wunder, dass das äußerst selten gespielte Stück nun doch auf die Bühne fand. Auf die im „Central“ des Düsseldorfer Schauspiels. Wo sich Tilman Köhler ans Werk machte. Mit einem – das sei vorab gesagt – überragenden Andre’ Kaczmarczyk als Coriolan.

Alle sind Clowns


Clowns sind sie alle. Das Gesicht unter grellen Farben unkenntlich, die Kleidung eine Orgie  von Stoffen und Farben. Ob Volk oder Herrscher, Tribun oder Feldherr – alle sind zur Unkenntlichkeit verwandelt. Dahinter verstecken sie Gefühle und Gedanken, Brutalitäten und Verführbarkeit. Jederzeit bereit, die Meinung und Überzeugung zu wechseln. Ein überraschendes, ein verblüffend logisches Szenario, das Tilmann Köhlers ebenso mitreißende wie komisch-verrückte „Coriolan“– Inszenierung aus dem Theater-Alltag heraushebt.

Welt der Clowns wird grau

Wenn sich schließlich die Tragödie Bahn bricht, Verderben und Tod hinter der clownesken Farbenpracht sichtbar werden, wird die Clowns-Verkleidung der Römer wie der Vertreter des Stammes der Volsker zunehmend grau. Die Pappnasen verschwinden, die Perücken landen in der Gosse, die Menschen hinter dem Schein-Bild alltäglicher Komik sichtbar. Selbst Coriolan, zerrieben zwischen Ehrgeiz und Hass, Liebe und Kriegslust, steht am Ende einsam in seinem wortwörtlich letzten, einem schmutzig-grauen Hemd da. Ehe er von seinen Feinden, dem moralisch hin- und herschwankenden Volk, den Tribunen (Florian Lange und Sebastian Tessenow) und dem Volsker-Heerführer Aufidius (Jonas Friedrich Leonardi) in einer Ecke des dicht geschlossenen Bühnenbilds (Karoly Risz) getrieben und dort ermordet wird.

Rettung Roms

Der einstige Held, der sich von Mutter (Markus Danzeisen) und  Frau (Thomas Kitsche)   noch kurz zuvor hatte erweichen lassen, Rom, dessen Plebs ihn mal liebt, mal hasst, schließlich mit „Kreuziget ihn“ in den Tod schickt, zu verschonen. Zuvor hat er sich noch, eigentlich ein naives Kind mit seinen Schwächen und Stärken, Gemütsschwankungen und Blutorgien, als Romantiker gezeigt: „Illyrien“ schreibt er auf die getäfelte Bühnenwand, die keinen Ausweg bietet, es sei denn durch eine Öffnung im Boden – und streicht den Inbegriff der Sehnsucht wieder durch. „Arden“ folgt, dann „Belmont“, Shakespeare-Orte der Sehnsucht. Alles vorbei, gestrichen, Vergangenheit. Das Volk wie deren politische Vertreter und Einpeitscher haben sich gerächt.

Vielfalt starker Bilder


Lang ist der Weg vom verehrten Helden, der fast allein die Volsker besiegt hat, und dafür vom römischen Volk erst bejubelt und dann wegen seiner Verachtung für die Plebs als Verräter gebrandmarkt wird. Mit einer Vielfalt an bildstarken Szenen gelingt der Regie zweifellos ein theatralisches Glanzlicht. Denn unter dem bunt flimmernden Clowns-Schein zeigen sich die Verführbarkeit des Volkes ebenso wie die politische Fake-Welt der Volkstribune, die das Volk ganz nach ihrem Gusto biegen und es in gefährlich populistische Hass-Orgien treiben.

Auf das Volk ist kein Verlass

Stück  wie Inszenierung sind damit ein äußerst lebendiger Kommentar zum Heute. Dort wie hier ist die Demokratie in Gefahr, weil sie den Handelnden nur noch zu eigenen Zwecken dient. Und die Mär vom „Volk“, das seine Entscheidungen angeblich stets der Vernunft gemäß fällt, zerfetzt diese Inszenierung in der Luft. Mit faszinierend gelungenen Szenen.

Aufführungen: 27. April, 11., 23. Mai; 3 1/4 Std. inkl Pause; www.schauspielkoeln.de
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„Coriolan“
William Shakespeare
Premiere: 18. April 2019

Düsseldorfer Schauspielhaus

Regie: Tilmann Köhler
Bühne: Karoly Risz
Kostüme: Susanne Uhl
Licht: Christian Schmidt
Musik: Jörg-Martin Wagner