Pfingsten in Berlin

Das Pergamon-Panorama

Das Pergamon-Museum trägt seinen Namen wegen eines Frieses, der einst einen Tempel in Pergamon, einer Stadt im antiken Griechenland (heute Bergama in der Türkei)  im 2. Jahrhundert vor der Zeitenwende, zierte. Der Fries ist nur in Teilen erhalten, in kunst- und kenntnisreicher Kleinarbeit sind Überbleibsel zusammengefügt –   sein Anblick ist für Laien enttäuschend. Nur, weil der Betrachter im 21. Jahrhundert ahnt, dass das Kunstwerk Jahrhunderte überdauert hat und für Kundige Kunde aus versunkener Zeit überliefert, ist er gehörig beeindruckt.

Noch enttäuschter ist der Besucher des Pergamon-Museums heute. Meine Frau und ich fanden an Pfingsten nur indirekte Spuren. Das Museum wird noch immer umgebaut und der Altarschmuck, genauer: die von ihm übrig gebliebenen Reste, ruhen sicher in einer Holzkiste, bis das Museum (in ein paar Jahren) soweit wiederhergestellt ist, dass der Altar, nein, der Fries, (gefahrlos) wieder ausgestellt werden kann.

Aber es gibt einen Ausgleich. 300 m vom Museum entfernt ist provisorisch ein Industriebau errichtet, um einem 360°- Panorama ein Obdach zu bieten. In der DDR gab es ein solches Rundbild vom Bauernkrieg, viel geliebt und häufig besucht.

Das Panorama von  Pergamon ist überwältigend, gigantisch. Zunächst kann der Zuschauer im Kreis gehen, um   Pergamon von allen Seiten aus zu betrachten. Mittel- und Ausgangspunkt ist natürlich der Altar. Yadegar Asisi, der Schöpfer des Panoramas, hat zunächst, ausgehend von den erhaltenen Überbleibseln, versucht, den Fries des Altars mit einer detailreichen Zeichnung in unsere Zeit zu retten – und dieser Fries schmückt auch, nicht mehr schwarz-weiß wie die Zeichnung, sonder bunt bemalt, den Altar. Auf dem Vorhof des Tempels werden Tiere geschlachtet, deren Innereien als Opfer den Göttern dargebracht werden. Das Vorfeld des Tempels ist blutverschmiert, Stiere und Schafe hauchen unter den Messern der Schlachter ihr Leben aus – ein barbarisches Bild. Die Gläubigen tragen Innereien die Templetreppen empor, oben werden ihre Gaben von Helfern in Empfang genommen und von Priestern ins Feuer geworfen.

Der Pergamonaltar ist beileibe nicht der einzige  in der Stadt. Bei der ersten Inspektion schon fallen weitere, aber kleinere auf, überall lodern Feuer zu Ehren der Götter. Ein weiteres Zentrum der am Berg gelegenen Stadt ist das Theater, am Hang, mit gestuften Sitzreihen, Raum für 10.000 Zuschauer. In der Mitte der Platz für den König und sein Gefolge, mit einem wertvollen, farbig gewobenen Baldachin vor der Sonne geschützt. Das Panorama wird künstlich beleuchtet und zeigt einen Tagesablauf: Mittags die stechende Sonne, dann der helle Tag, der Abend, die Dämmerung, Nacht und später, vielleicht am gelungensten, der Morgen. Die Hähne von Pergamon wecken sie und rufen sie heraus/f, Morgen für Morgen. (Der akustische Hintergrund ist eine Freude für sich.)

Es gibt viel zu entdecken – entfernt der Sklavenmarkt, näher das Bordell, der Markt, feine Leute, einfache – und natürlich, wichtigwichtig, Werkstätten, z.B. die der Bildhauer.

Das Panorama dürfte ein Graus für Archäologen und Historiker sein, für Laien ist es die Schließung einer Lücke. Hier bekommt sie Anschauung vom Leben in einer alten Stadt, er begreift, wie klein der Ausschnitt mit dem Pergamonaltar ist, und wie weitreichende Spekulationen so ermöglicht werden. Freilich bleiben viele Fragen: Was bedeutet der Glaube damals, warum so viele Opfer? Wer herrschte, wer diente, wem diente die Religion? Was verrät der uns überlieferte Fries über die Verteilung von  Herrschaft und Knechtschaft?

Und noch eine Frage

Und eine freilich ganz andere Frage drängt sich auf. Könnten wir  uns unsere(?) Museen nicht schenken, könnten wir sie nicht dichtmachen?

Ist nicht wichtig, was unsere Forscher herausfinden über die damalige Zeit? Und ist es nicht wichtig, diese Erkenntnisse didaktisch geschickt aufzubereiten, wie es im Panorama geschieht? Sollte nicht dafür das Geld ausgegeben und das Suchen nach und aufwendige Ausstellen von  Originalen aufgegeben werden? Schon Walter Benjamin erörterte das Problem des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Die Aura des Originals kann sich ja in Sammlungen von Milliardären erhalten, die miteinander um den Ruhm der wertvolleren Sammlung wetteifern, bis sie zur Rechenschaft gezogen werden. Aber so lange sollten wir, während wir (Steuer)Milliarden für die Berliner Museumsinsel ausgeben, darüber nachdenken, ob sie nicht falsch aufgewendet werden. Der Wettbewerb der Metropolen – Petersburg, London, New York, Paris, Berlin mag in einer Welt feindseliger Nationen Bestandteil des Wettbewerbs und sinnvoll gewesen sein. Heute geht es vorrangig um Erkenntnisgewinn und Bewußsteinserweiterung, um die Ablösung der Geschichtsvergessenheit durch anschauliche historische Kenntnisse.