Der alte Schwung ist hin

 

René Polleschs „Rocco Darsow“ in Hamburg uraufgeführt

 

HAMBURG. „Rocco Darsow“ nennt René Pollesch sein neues Stück. Das soll der Name eines reichen Mannes sein, der sein Vermögen einst mit Zement gemacht hat. Jetzt gehört ihm ein legendäres Tonstudio, drei Etagen unter der Erde – dort wollen vier Schauspieler ein Hörspiel aufnehmen.

 

Zuerst tritt Martin Wuttke in schwarzgestreiftem Anzug mit passenden Lackstiefeln auf; er dirigiert ein riesiges unsichtbares Orchester, dessen überbordende Klangfluten aus den Lausprechern quellen. Dann kommen noch drei Kollegen auf die Bühne. Sie philosophieren darüber, welchen Übergriff es darstellt, zu sagen „Ich liebe dich“, später trällert Sachiko Hara einen japanischen Schlager, einen Schmachtfetzen mit viel Liebe, und schreitet dazu eine kleine Showtreppe herab. Bettina Stucky steht dem nicht nach und singt auch (sie hat eine wunderbare, modulationsfähige Stimme, Mezzo), Christoph Luser kommt mit seinem Text nicht ganz zu Rande und geht immer wieder zur Souffleuse (stets an der richtigen Stelle: Katharina Popov), um ins Manuskript zu schauen – kein Wunder: Die Texte stehen (wie immer bei Pollesch) unverbunden nebeneinander und wirklich logisch sind sie nur selten (wie das Leben).

 

Beziehungslos nebeneinander

 

Genauso wenig wie das Bühnenbild. Janina Audick platziert einen überlebensgroßen schwarzen Plastik-Totenkopf inmitten eine bühnenfüllenden Geburtstagstorte aus Pappmaché. Manchmal sind die Akteure auf der Bühne, oft aber auch im Totenkopf, dem Tonstudio. Eine Livekamera nimmt sie auf, um ihre Bilder auf eine große Leinwand an der linken Seite der Bühne im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses zu projizieren.

 

Im Deutschen Schauspielhaus bekam Polleschs unglaubliche Karriere (er ist Autor und Regisseur seiner Stücke zugleich) ihren entscheidenden Schwung. Das ist jetzt schon 14 Jahre her. Damals wurde im 3. Rangfoyer gespielt: Die „world-wide-web-slums“. Aber im Jahr 2000 rissen die Schauspieler ihr Publikum mit – in eine neue Theater-Welt, die mit einem irren, boshaften, geistreichen Humor die Arbeitslosigkeit ebenso anklagte wie das damals noch ziemlich neue Internet. Das „latent hysterische Moment“, von dem in „Rocco Darsow“ einmal die Rede ist, schwappte von der Bühne über die Rampe ins Publikum, die Zuschauer gerieten vor der Fülle des Theaterglücks aus dem Häuschen – im Gegensatz zum Freitagabend im Malersaal, als „Rocco Darsow“ das Licht der Bühnenwelt erblickte.

 

Woran liegt es? Stimmte die Mischung der Collage nicht? Fehlte Engagement? Zu wenig Gesellschaftskritik? Zu viel Theorie? Konnten die Schauspieler ihr Publikum nicht packen? Ist aus dem überraschend Neuen Routine, eine Masche geworden? Vielleicht von allem ein bisschen…

 

Der alte Schwung ist hin.

 

Ulrich Fischer

 

Auff. am 14., 16., 17. und 20. Dez. Soll auch noch im Jan gespielt werden wegen riesiger Nachfrage – die ersten drei Vorstellungen sind ausverkauft. Pollesch hat noch viele Freunde in Hamburg.– Spieldauer: 70 Min.

 

Kartentel.: 04024 87 13 – Internet: www.schauspielhaus.de