Blutspur ins Mittelalter

Stefan Bachmann bringt Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ auf die Bühne des Kölner Schauspiels

Von Günther Hennecke

Köln – Es ist das meistgelesene Werk des Mittelalters. 75 Handschriften haben sie überliefert: die Lebensgeschichte „Parzivals“, die vor gut 800 Jahren von der Freude, vor allem aber vom Leid eines Mannes erzählt. Was seine Mutter Herzeloyde, Witwe des sich lebenslang durch die Welt kämpfenden Ritters Gahmuret von ihm fernhalten wollte, bricht zusammen, als der den ersten Rittern begegnet. Aufgewachsen im Wald, saugt ihn die Ritterwelt in eine neue Realität. Ritter will er werden – und vergewaltigt und mordet auf seinem Weg dahin. Selbstgerecht durchrast er die Welt, will zum Gral und in König Artus` Ritterrunde aufgenommen werden. Je näher er ihm kommt, desto mehr lernt er: Was Ehre ist, was Gnade bedeutet, was Höflichkeit gebietet. Doch Höflichkeit wird auch Grund seiner Tragik: Aus Höflichkeit fragt er nicht nach dem Leid des kranken Königs. Eine Frage, die ihn von seinem Leid hätte erlösen können. Empathie ist unter Formen verschüttet.

Wie bringt man das auf die Bühne? Stefan Bachmann, Hausherr am Kölner Schauspiel, versetzt den Autor, Wolfram von Eschenbach (ca. 1170 – ca.1220), in die Rolle des Erzählers einer Aventiure. Er ist präsent, verschwindet wieder aus der Szene, überlässt den Frauen und Männern des Liedes die Umsetzung in kurze, prägnante, schwarzweiße Szenen. In ihnen gerinnen, in der überzeugenden Übersetzung von Dieter Kühn, die 375 Seiten des „Romans“ zu eindrucksvollen Bildern. Ohne Schwerter und Rüstung, ohne Burgen und Throne. Es sind aussagekräftige Kurz-Impressionen des Weges „Parzivals“ vom tumben Tor zum Gralskönig.

Aufs Äußerste konzentriert ist auch Simeon Meiers Spielraum. Ein schwarzer Klotz, an eine Kaaba erinnernd, teilt sich immer wieder einmal in zwei Blöcke. Einer schwebt über dem anderen. Das wirkt nicht selten bedrohlich und scheint die Menschen zu zermalmen, von denen oft nur Schuhe und schwarze Hosenbeine zu sehen sind. Kopflos.

So entstehen eindringliche Szenen, ruhig und zupackend erzählt. Bis, wie aus heiterem Himmel, der mittelalterliche Erzähl-Frieden zerstört wird: Einer Furie gleich rast ein hexenartiges Wesen in die Ritter-Welt. Fell am Körper, schepperndes Metall um die Hüften, bricht Cundrie, die Gralsbotin, den Gang der Geschichte auf: „Ich scheiß` auf das Mittealter!“ brüllt sie, das Heldengerede verflucht sie, das Frauenbild nennt sie beschissen. „Die Tafelrunde ist zerstört!“, steht auf einem Schild. Zugleich greift sie Parzival an, weil der Anfortas auf der Gralsburg nicht nach seiner Krankheit befragt hat. Selbst ein Telefonat mit dem Autor fehlt nicht: „Ja, Wolfram, acht Minuten habe ich für diese Szene.“

Danach ist der Spuk zwar vorbei, aber auch die erzählerische Zurückhaltung. Von nun an spritzt das Blut, haben die Schwerter das Sagen. Dennoch siegt am Ende die Hoffnung: Frieden findet Parzival, als er seinem „schwarzweißen“ Halbbruder aus dem Osten, Fairefis, versöhnlich in die Arme fällt. Die Szene wirkt zudem wie ein Sprung aus dem 13. Jahrhundert in unsere Gegenwart: Orient und Okzident, als Halbbrüder vereint. Das Kölner Lied endet mit Wolframs letzten Worten: „Wer seine Würde bewahrt, für den waren die Mühen nicht umsonst.“

Langer, intensiver Applaus nach nur zwei Stunden.

Aufführungen im Depot 1: 11., 20., 28. Februar; 6., 8., 13., 14., 22., 26. März; Karten unter 0221-221 28400; 2 Std. ohne Pause. www.schauspielkoeln.de