Tom Stoppards „Hard Problem“ in London uraufgeführt

Darwin im 21. Jahrhundert

 

 

LONDON. Das Royal National Theater ist das Flaggschiff britischer Bühnen. Seit September 2003 leitete Nicholas Hytner die Bühne in London – jetzt neigt sich seine letzte Spielzeit als Intendant dem Ende zu. Zwei Uraufführungen unterstrichen noch einmal den Rang des Hauses, den Hytner wohl zu wahren wusste: Kürzlich David Hares „Behind The Beautiful Forevers“, das sein Nachfolger Rufus Norris inszenierte, und jetzt Tom Stoppards „The Hard Problem“ – Hytner behielt sich die Regie der Uraufführung selbst vor.

 

Gespielt wurde im Dorfman’s – das ist die Studiobühne des Nationaltheaters am Südufer der Themse. Früher hieß es „Lyttleton’s“, jetzt wurde das Studio renoviert und umbenannt – nach einem reichen und spendablen Theaterfreund und

-gönner.

 

Das National bleibt seinen Dramatikern treu. Es begleitete Tom Stoppard auf seinem Weg zum alten Meister. Ein Höhepunkt war 2002 „The Coast of Utopia“, „Utopias Küste“, eine aufwändige Trilogie. Stoppards neues Stück“ „The Hard Problem“ – auf Deutsch: „Das schwierige Problem“ – ist schon jetzt bis Mai ausverkauft.

 

 

Idealismus contra Materialismus

 

 

Tom Stoppard ist ein philosophischer Dramatiker. Das war er schon am Beginn seiner Laufbahn, das blieb er auch   bei seinem Meisterwerk „Arcadia“ – „Arkadien“ – wie bei seiner Trilogie „The Coast of Utopia“ – „Utopias Küste“ -, und das ist auch so bei seinem neuesten Stück „The Hard Problem“. „Das schwierige Problem“. Gleich in der ersten Szene rückt er dieses „schwierige Problem“ ins Zentrum des Dialogs:

 

Spike: Altruism is an outlier unless you’re an ant or a bee. … Above all, don’t use the word good as though it meant something in evolutionary science.

 

 

Stoppard wirft die Frage auf, ob es einen Beweis für die Verankerung von Altruismus im menschlichen Verhalten gibt. Spike (Dorn, nomen est omen), der im Stück die Materialisten repräsentiert, argumentiert streng darwinistisch. Er meint, Uneigennützigkeit sei bestenfalls eine geschickte Maskierung ungezügelter Selbstsucht. Er rät Hilary, seiner idealistischen Freundin, sie solle das Wort „gut“ nicht benutzen, als komme ihm in der Evolutionstheorie irgendeine Bedeutung zu.

 

Hilary ist die Heldin des Stücks, eine junge Psychologin. Mit ihrem Freund diskutiert sie immer wieder die Frage, ob es Gott gibt und so etwas wie Nächsten- oder Mutterliebe. Spike, ihr Freund und Antagonist, führt das Verhalten aller Menschen, aller Lebewesen auf den Kampf ums Dasein zurück – alles andere sei Illusion. Nicht zuletzt deshalb würde Hilary gern den Beweis führen, dass der Mensch ursprünglich gut sei und sich nur wegen des gesellschaftlichen Drucks, der Erziehung zum egoistischen Ekel entwickele.

 

Verwickelt

 

Hilary bekommt eine Stelle in einem privaten Forschungsinstitut und ihrer Assistentin gelingt ein Versuch, in dem sie beweist, dass Schüler als Kinder gut, selbstlos seien. Je älter sie werden, desto schlimmer wird ihr Egoismus. Hilary ist begeistert, veröffentlicht die Forschungsergebnisse – um dann herauszufinden, dass ihre Assistentin die Auswertung des Experiments manipuliert hat.

 

Dennoch gibt es offenbar Altruismus – Tom Stoppard höchstselbst führt den Beweis, wenn schon nicht wissenschaftlich, so doch dramatisch. Hilary arbeitet nämlich an dem Institut von Jerry. Er ist Milliardär, hat sein Vermögen mit einem Hedge Fonds gemacht. Sein Institut fördert er nicht so uneigennützig, wie er vorgibt. Er sucht nach Methoden, möglichst ausgekochte Mitmenschen zu finden – sie sollen dann noch raffinierter als die Haifisch-Konkurrenz Geschäfte machen. Jerry stützt seine Profitmaximierung wissenschaftlich.

 

Aber genau dieser Jerry hat offenbar eine weiche Stelle – denn er hat eine Tochter. adoptiert – es ist die leibliche Tochter Hilarys. Hilary hat als Teenager ein Baby bekommen und es zur Adoption freigegeben. Hilary und Jerry finden aber erst am Ende heraus, dass sie eine „gemeinsame“ Tochter haben – eine etwas aufdringliche Konstruktion. Für die Manipulierungen übernimmt Hilary die Verantwortung, kündigt – und bricht auf zu neuen Ufern: Hilary will Philosophie studieren.

 

Meisterwerk

 

Eine Stärke von „Hard Problem“ ist, wie stets bei Stoppard, die Debatte: Thesen und Antithesen prallen aufeinander – in präzise formulierten, bis zum Funkeln geschliffenen Dialogen. Die Handlung spiegelt die Thesen im täglichen Leben, über die Protagonistin und ihre Antagonisten streiten.

 

Die Figuren sind plastisch, lebendig und interessant, Futter für Bühnenlöwinnen und Theaterpanther. Das Ensemble spielt ohne Fehl und Tadel. Sir Tom gehört zu den profiliertesten britischen Dramatikern unserer Tage, nicht zuletzt deshalb hat ihn Königin Elisabeth geadelt. Er hat als jetzt alter Meister sein Stück stark konzentriert – was für den Regisseur ein Problem darstellt: wenn er alle Diskussionen ausbreiten will, wird die Aufführung zäh, das Philosophische überwiegt, man könnte besser einen Aufsatz über das Problem lesen. Betont die Regie die dramatische, kurzweilige und humorvolle Seite, so eilt sie über Tiefen des Stücks hinweg. Die Alternative stellt ein „hartes Problem“ dar.

 

Nicholas Hytner entschied sich für den Ritt über den Bodensee. Seine temporeiche Inszenierung im Dorfman’s ist geistreich und kurzweilig. Das ist toll – und schade, denn Tom Stoppards „Hard Problem“ hat mehr Tiefe als dieser Galopp auf der Bühne.

 

Ulrich Fischer