„New Ocean“ von Richards Siegals „Ballet of Difference“ als Tanztheater-Uraufführung in Köln
Von Günther Hennecke
Köln – Der Tanz habe „wieder eine Heimat in Köln“, zeigte sich erfreut Schauspielchef Stefan Bachmann. Das „Ballet of Difference“ des US-amerikanischen Choreografen Richard Siegal, eigentlich, wenn auch nur locker, in München beheimatet, ist seit dieser Spielzeit mit dem Schauspiel der Domstadt „assoziiert“. Was das bedeutet und ob damit Köln aus seinem Tanztheater- und Ballett-Dornröschenschlaf wirklich aufwacht, muss sich freilich erst noch zeigen.
Kölns Tanz-Dilemma soll enden
Schließlich lässt ein Blick auf die Bühnenpräsenz der Siegal-Truppe leichte Zweifel aufkommen: Drei Auftritte zu Spielzeitbeginn, die Uraufführungs-Premiere der Performance „New Ocean“ einschließlich, schließlich gerade noch zwei Präsentationen desselben Stückes Ende November, und erst wieder drei im Februar und zwei im März 2020 katapultieren die viertgrößte Stadt der Republik nicht gerade in die Reihe vergleichbarer Tanztheater-Städte in Deutschland. Immerhin: Nach zwei Gastspielen der Truppe am Rhein 2018 mit „On Body“ und vor allem „Roughouse“, die freilich weder bei der Kritik noch beim Publikum große Begeisterung ausgelöst haben, gehören Siegal und seine Truppe nun auch vertraglich zum kölnischen Theater-„Inventar“.
„New Ocean“ rauscht am Rhein
Nun war es also soweit. In Kölns Schauspiel-Depot 1 erlebte Siegals
„erstes abendfüllendes Ballett“, das „er für seine Company
kreierte“, seine Uraufführung. Ausdrücklich, wie es heißt,
„inspiriert vom Werk Merce Cunninghams“, der in diesem Jahr seinen
100. Geburtstag gefeiert hätte.
Ein Kreis wird zum Bühnenbild
Cunningham, ein Hochmeister des Modernen Tanzes, hat seine Choreografien stets streng strukturiert und „zirkulär“ organisiert. Zirkulär ist auch Siegals Einstieg in „New Ocean“ geprägt. Denn, in anfänglich soulige Musik getaucht, bleibt ein hell ausgeleuchteter Kreis für Minuten „Bühnenbild“. Immer wieder wird sich im Laufe des Abends dieses Grundmuster ändern. Bleibt vor der Pause die Kreisform, selbst bei häufiger Änderung des Lichteinfalls noch erkennbar und Zentrum der Choreografie, so löst sich dieses Bild später in alle möglichen Formen auf. Was durchgehend bleibt, ist die stets schwarzweiße Struktur, deren Veränderung sich schleichend vollzieht.
Choreographie ohne wirkliche Variationen
Dass Siegal, wie es im Leporello klingt, „versucht“, „den Kreis als
Form zu sprengen, um das Chaos in den Kosmos eindringen zu lassen“,
klingt freilich nach einer Portion dramaturgischer Hochstapelei.
Denn das Problem dieser Choreografie ist offensichtlich: Die Ränder
des Kreises mögen mehr und mehr unkenntlich, der „Kreis gesprengt“
sein – würde sich doch auch die Choreografie entsprechend
verändern, sich auf die neue Bühnen- und deren Lichtsituation
einstellen.
Beeindruckende Tableaus
Doch davon ist, weder im ersten, 45 Minuten langen Teil, noch auch
nach der Pause, wirklich Entscheidendes zu sehen. Mag Siegal sich
auch an den „mathematischen Strukturen“ Cunninghams orientieren,
sein „New Ocean“ gleitet auf sich immer wieder wiederholenden
Bewegungsabläufen und sich kaum ändernden Rhythmen dahin. Mit einer
Körpersprache seiner acht Tänzerinnen und Tänzer, die umso mehr zu
bewundern ist. Nur leider treten, besser: „bewegen“ sie sich im
Kern immer auf der gleichen Stelle. In Bewegungs-Sentenzen, die
nach kurzer Zeit vorausschaubar sind – und am Ende dank unendlicher
Wiederholungen in bewundernswerter Monotonie enden. Zu bewundern
ist und bleibt von Beginn an die Skala der Körperbewegungen:
Atemberaubend wendet und drehen die Tänzer des Oktetts Körper,
Beine und Arme, Hüfte und Hals – um immer wieder einmal in
beeindruckenden Tableaus und Kunstfiguren zu erstarren.
Einsamkeit verhindert Kontakte
Einsam sind sie alle, auf nichts als auf sich selbst angewiesen und
geworfen. Daran ändern auch die kurzen, nur scheinbar
hoffnungsvollen Kontakte wenig. Schnell zucken die Körper zurück,
mal paarweise, auch mal im Trio – aber immer vereinzelt.
Totenstille beherrscht den Raum
Das Besondere in den ersten 45 Minuten: Es herrscht fast permanent
Totenstille. Lediglich kurze, nur Sekunden lange Musikfetzen, geben
dem Bewegungsspiel der Tänzerinnen und Tänzer eine neue Richtung,
lassen einige aus dem Bild verschwinden, andere in Aktion treten.
Zudem fallen sie, ausgepowert vom Dauerstress körperlicher
Höchstleistungen und Verrenkungen, oft rücklings auf den
Bühnenboden. Andere übernehmen das Spiel. Tanz zeigt sich an diesem
Abend als Vergewisserung des eigenen Selbst, das wiederum das
Gegenüber nicht zu brauchen scheint.
Erinnerung an klassische Skulpturen
Nach der Pause ist es mit dieser Stille vorbei. Musik gibt den
Rhythmus vor. Doch die Bewegungen, wenn in diesem zweiten Teil
durch die antreibenden Tonmischungen auch deutlich beschleunigt,
bleiben sich sehr ähnlich. An deren Ende frieren sie immer wieder
zu bewundernswerten und grandiosen Tableaus ein. Skizzen und
Entwürfen klassischer Skulpturen gleich.
Nebel verschluckt erst die Akteure – dann das Publikum
Am Ende tauchen die Akteure in eine aus dem Hintergrund sich
auftürmende Nebelwand ein. Ein sich noch verstärkender Sturm bläst
schließlich wahre Nebelmassen ins Publikum. Atemberaubend.
Wäre doch auch die Uraufführung von Siegals New
Ocean“-Choreographie entsprechend zu beurteilen. Doch dem Publilkum
gefiel’s: Minutenlage Ovationen.
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„New Ocean“
Von Richard Siegal
Premiere der Uraufführung: 27.9.2019
Schauspiel Köln
Choreographie und Bühne: Richard Siegal
Licht/Video: Matthias Singer
Musik: Alva Noto und Ryuichi Sakamito
Kostüme: Flora Miranda
Mit Margarida de Abreu Neto, Jemima Rose Dean, Gustavo Gomes, Mason Manning, Andrea Mocciardini, Claudia Ortiz Arraiza, Zuzana Zahradnikova, Long Zou
1 3/4 Stunden inkl. 1 Pause.
Den theoretisch geäußerten hohen Ansprüchen kann Siergals Choreographie trotz der bewundernswerten Leistung seines acht mit vollem Körpereinsatz tanzenden Oktetts. nicht entsprechen.