Kieran Joel überzeugt mit einer „Frankenstein“-Inszenierung im Kölner „Bauturm-Theater“
Von Günther Hennecke
Köln- Nichts ist so überraschend wie das nicht Erwartete. Glaubt man doch, „seinen Frankenstein“ zu kennen. Dieses Monster, Geschöpf eines Doktors der Anatomie, der an der Universität zu Regensburg Geschmack für Außergewöhnliches entwickelt: Faustisch will er sein, ein dem Menschen ähnliches Wesen erschaffen. Gott zu spielen, träumt er nicht nur. Freilich mit dem entscheidenden Unterschied, dass dieser „Gott“, Dr. Viktor Frankenstein nämlich, ein Ungeheuer, ein Monster in die Welt setzt.
Schöpfungsakt gerät außer Kontrolle
Nun könnte man argumentieren, dass sich auch der „wahre“ Schöpfer
beim Erschaffen des Menschen nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.
Gibt es doch auch ohne die Frankensteins genügend „Monster“ auf
dieser Welt. Doch ihm, dem nach Neuem gierigen Wissenschaftler,
gerät sein Geschöpf schließlich außer Kontrolle und zum
Schreckgespenst.
Blendend im Duett agierende Darstellerinnen
Damit beginnt zugleich auch das Lob für eine Inszenierung am Kölner
„Theater im Bauturm“, in dem das Monster nur in der Phantasie
junger Frauen Gestalt annimmt. In der Welt zweier mitreißend
emotionaler Darstellerinnen, die in alle möglichen Rollen
schlüpfen. In die der weiblichen Mitglieder der Familie
Frankenstein – und in die des Herrn Doktors. Nur dessen Geschöpf
erscheint nie in seiner menschlichen Gestalt. Es entwickelt sich
als reines Spukbild in unseren Köpfen. Als eine immer näher
kommende Gefahr, die die Ehe zwischen Frankenstein und seiner
geliebten Elisabeth in der Hochzeitsnacht zerstören wird.
Wenn die Liebe stirbt
Dass der Versuch, sich gottähnlich der Welt und ihrer Schöpfung zu nähern, in einer Katastrophe endet und die Liebe sterben lässt, hat Kieran Joel, 34, Bearbeiter des 1816 am Genfersee in der Schweiz entstandenen Romans der damals erst 18 Jahre alten Engländerin Mary Shelley, mitreißend in Szene gesetzt.
Vom Krimi zu rasenden Mänaden
Es beginnt mit ungewöhnlichen Bildern und überrumpelnden Szenen,
die (noch) nichts ahnen lassen von dem nach Höherem strebenden
Studenten Viktor F. Zwei junge Frauen, in pseudo-barocke Kleider
gesteckt, erinnern in Ihrem Sprachduktus an Berichte und Kommentare
eines antiken Chors, wenn sie, über weite Strecken hinweg, im
sprachlichen Duett, den Kriminalfall der Familie Frankenstein
vorwegnehmen. Justine, fälschlicherweise des Mordes an Wilhelm, dem
Bruder Viktors, angeklagt, wird hingerichtet. Die Kleider fallen,
das Blut spritzt: Beide Frauen werden zu rasenden Mänaden.
Verwirrungen und künstlerische Raffinesse
Ihrer Phantasie entspringen schließlich Frankenstein und sein Geschöpf. Im Wechsel liegt eine von beiden auf dem Rücken, während die jeweils andere die Verwandlung ihres „Opfers“ vollzieht – mit Farben und Worten und dabei an einen Sexualakt erinnernd. Es ist eine Inszenierung der Irrungen und Wirrungen, die es nicht leicht machen, dem Handlungsstrang, den die Regie ziemlich durcheinanderwirbelt, zu folgen. Es ist aber vor allem ein Abend künstlerischer Raffinesse. Und eine Aufführung, die zwei junge Schauspielerinnen als grandios agierendes Duett brillieren lässt (Maike Johanna Reuter, 30, und Laina Schwarz, 28). Sollte Kieran Joel, nach der Auszeichnung seiner „Don Quichote“-Inszenierung mit dem „Kölner Theaterpreis“ im vergangenen Jahr auch für den diesjährigen Preis nominiert werden, dürfte das nicht überraschen.
Aufführungen: 6., 23., 24., 25. Oktober; 2., 3. November; 70
Minuten ohne Pause; www.theaterimbauturm.de
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„Frankenstein“
Nach dem Roman von Mary Shelley
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Premiere der Uraufführung: 28.9.2019
Besuchte Aufführung: 4.10.2019
Regie: Kieran Joel
Ausstattung: Katharina Wilting, Madeleine Sahl
Musik: Koxette
Foto: Dennis Nolden
Theater im Bauturm, Köln
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Kurz und knapp: Eine ungewöhnliche „Frankenstein“ – Paraphrase, die
durch Raffinesse, große schauspielerische Empathie und Witz
überzeugt.