Tragödie auf hoher See


Deutsche Erstaufführung von Kehlmanns „Reise der Verlorenen“ in Köln
Von Günther Hennecke

Köln – Es gilt als Stück der Stunde: Daniel Kehlmanns „Die Reise der Verlorenen“. Es ist eine reale Geschichte von Menschen, die wirklich gelebt haben. Von der Flucht von über 930 fast ausschließlich Juden an Bord der deutschen „St. Louis“ im Jahre 1939. Havanna ist ihr Ziel. In der Hoffnung, von dort aus die USA zu erreichen. Doch die Hoffnung trügt, die Reise endet in Europa. Kuba lässt sie nicht an Land.

Einzelschicksale in Schnipseln
In Köln versuchte sich Rafael Sanchez an dem vor gut einem Jahr in Wien uraufgeführten Stück erstmals auf einer deutschen Bühne. Karg ist die Szene. Zehn Stühle in einer Reihe. Dahinter ein angedeuteter Schiffsbug vor einem Meeresbild, an der Seite zahllose Haken mit Kleidungsstücken (Bühne: Thomas Dreißigacker). In sie werden die gerade einmal sechs Schauspieler schlüpfen, um die Vielfalt der Charaktere wiederzugeben. Es sind Einzelschicksale in Schnipseln, die die wahre Leidensgeschichte nur andeuten können.

Moral, in Gesetzen erstickt
Es geht um das Jetzt, um die Hoffnung. Sie ist verzahnt mit der sich zunehmend aussichtsloser zeigenden Situation an Bord. Verzweiflung greift um sich, während korrupte Politiker, pseudomoralisch schwafelnd, auf angeblich unumstößliche Gesetze verweisen , die ein Anlanden in Havanna nicht erlauben. Mit einem Kapitän in der Mitte, der vergeblich versucht, die Balance zu halten zwischen Berufsethos und vernichtenden Befehlen seiner Reederei.

Alberne tänzerische Einlagen
Sanchez‘ Regie versucht den Spagat von Dokumentartheater und Kammerspiel. Dazu treibt er die Akteure immer wieder an die Rampe, wo sie, sowohl berichtend wie anklagend, das Publikum in ihren Bann zu ziehen versuchen. Nicht immer ist das überzeugend. Und die hin und wieder dargebotenen tänzerischen Einlagen wirken nicht nur deplatziert sondern einfach nur albern.

Tagebuch, Zeuge des Lebens
Doch wenn einer von ihnen, zur Realzeit des Stücks und seiner Geschichte längst ermordet, wissen lässt, man „weiß nur deswegen, dass es mich gegeben hat“, weil „mein Tagebuch mich überdauert hat“, sind Stück und Schicksal auf den Punkt gebracht.
Langer und intensiver Applaus.                                                                         
www.schauspielkoeln.de
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Die Reise der Verlorenen
Von Daniel Kehlmann
Premiere der Deutschen Erstaufführung: 7. November 2019
Schauspiel Köln

Regie: Rafael Sanchez
Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüme: Maria Roers
Musik: Cornelius Borgolte
Licht: Jürgen Kapitein
Video: Michael Gööck

Mit Peter Lohmeyer, Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen, Nikolaus Benda, Birgit Walter, Justus Maier

Kurz und bündig: Ein an Emotionen reiches Stück Theater, das in Sanchez‘ Regie freilich allzu oft recht uninspiriert und undramatisch daherkommt.