Sie „treiben mit Entsetzen Scherz…“

„Trutz“ nach Christoph Hein im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg

HAMBURG. Romane für die Bühne zu bearbeiten ist zur Zeit groß in Mode. In 95 % der Fälle geht es schief –  aber Dušan David Pařízek ist ein bewährter Regisseur. Vielleicht würde es ihm gelingen (hoffte ich). Er hatte sich „Trutz“ von Christoph Hein vorgenommen und versuchte, die komplexe Handlung in knapp drei Stunden für das Theater zu gewinnen. (Seine Hannoversche Bearbeitung&Inszenierung hat das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg übernommen und im Großen Haus gespielt, am Freitag war Hamburger Premiere.)

Im Mittelpunkt stehen zwei alte Männer, die auf ihr Leben zurückblicken: Maykl Trutz und sein russischer Freund Rem. Maykls Eltern, deutsche Antifaschisten,  mussten vor den Nazis fliehen, als einziges Asyl blieb ihnen die Sowjetunion. Dort kam Maykl zur Welt. Sein Vater wurde Opfer des Stalinschen Terrors, in einem Lager im hohen Norden eher zufällig erschlagen, die Mutter starb in der Verbannung. Rems Vater war Professor der Mnemotik, eine umwälzende Wissenschaft, die das Gedächtnis schult. Er fiel in Ungnade und kam bei schwerer Zwangsarbeit ums Leben. Nicht ohne den beiden Jungen zuvor eine Ausbildung ihres Gedächtnisses vermacht zu haben. Rem wird wegen seiner herausragenden Fähigkeiten ein hoher Offizier und darf bis zu seiner Pensionierung Russland nicht verlassen.  Maykl macht sich unmöglich, als er einen alten, geschmeidigen Stasi-Mann & Spitzel zur Rechenschaft ziehen will, der längst in der Bundesrepublik Karriere gemacht hat und sein Vorgesetzter geworden war. Maykl landet in der tiefsten Provinz.

Die Handlung mit ihren vielen Wendungen ist zu kompliziert und komplex für die Bühne – und zu komplex für nur vier Schauspieler (eine bewundernswürdige Gedächtnisleistung: Sarah Franke, Henning Hartmann, Markus John und Ernst Stötzner). Jeder vom Quartett verkörpert mehrere Figuren, Stötzner, dessen graues Haar langsam silbern geworden ist, muss einmal sogar einen Säugling spielen. Das Springen von einer Rolle in die andere ist erheiternd – aber kaum nachzuvollziehen, wenn man den Roman nicht genau kennt. Wer verkörpert jetzt gerade wen?

Trutz | Nach dem Roman von Christoph Hein | Schauspiel Hannover in Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen | Regie und Bühne: Dušan David Pařízek | Kostüme: Kamila Polívková | Szene mit: Markus John, Sarah Franke, Ernst Stötzner, Henning Hartmann

Es ist schwer, der Vorstellung zu folgen, sie dauert zu lang, und auch, wenn der ein oder andere Gag gelingt, wirkt sie ganz überwiegend zäh. Schade.

Überdies zwingt die Komplexität dazu, lange Passagen einfach zu referieren. Um der Gefahr der Langeweile zu entgehen, werden Späße eingefügt. Ein Beispiel: die SED-Funktionäre sprechen Sächsisch. Das ist nicht  komisch, sondern läppisch. Der Schrecken der Verhöre wird weggespielt – dabei geht es Christoph Hein gerade darum, diesen Schrecken in Erinnerung zu rufen – und zu beklagen, dass dieses schreiende Unrecht kaum je aufgearbeitet wurde. Sein Roman ist eine Form künstlerischer  Aufarbeitung,  die Witzeleien der Aufführung nehmen diesen Ernst zurück – ein zentraler Einwand gegen die Regie – aber auch gegen die Schauspieler, die, hervorragende Vertreter ihres Faches, durchaus hätten erkennen können, dass diese angestrebte Komik unangebracht, ja kontraproduktiv ist. Das Stück ist keine Komödie, der Stalinismus und die Nazizeit waren (und sind) kein Witz. Um Schiller zu zitieren: sie „treiben mit Entsetzen Scherz.“

Es ist, wie meistens. Der Roman ist besser. Viel besser.

                                                                                              Ulrich Fischer

Nächste Aufführung am 6. 12.; 9. 1. und 12. 2. Spieldauer: 2 Stunden 50 Minuten..

Christoph Hein: Trutz. Roman.  Berlin 2017, suhrkamp. 477 S., 25,00 €.