Actors first!

Molières „Amphitryon“ auf der Berliner Schaubühne

BERLIN.  In einer anständigen Theateraufführung kommt zuerst die Geschichte, also der Autor, dann die Figuren, schließlich der Regisseur und das Bühnenbild, die Schauspieler kommen zuletzt. Sie stellen sich in den Dienst des Autors und des Regisseurs … Der Intendant wählt aus, wer wen spielt, dann wird die Besetzung ausgehängt und die Darsteller haben kaum bis keinen oder nur ganz selten, wenn schon, dann indirekten Einfluss.

Das ist ein Grund für viel Herzeleid – und Herbert Fritsch ist gekommen zu zeigen, dass diese Hintanstellung der Akteure überdies Quatsch ist und ganz schlicht & einfach falsch.  Fritsch war lange Schauspieler, ehe er sich entschloss, Regisseur zu werden – um die ganze Chose auf den Kopf (vom Kopf auf die Füße) zu stellen. Die Schauspieler kommen zuerst. ZUALLERERST. Actors First!

Das Rezept hat Fritsch häufig angewandt, meistens hat es sich bewährt – auch jetzt wieder in Berlins Schaubühne. Gespielt wird Amphitryon in Molières Fassung. Bevor der erste Auftritt absolviert wird – es tritt „Die Nacht“ auf – hören wir Musik: Ingo Günther am Flügel, am rechten Ende der Bühne vorn, Taiko Saito ihm gegenüber am Schlagwerk, Xylophonklänge  dominieren. Ingo Günther, der für die Musik insgesamt verantwortlich zeichnet, sucht in seinem Prélude nach dem Klang von Molières Versen.

Sie sind regelmäßig gebaut, edel, haben prachtvolle Reime und sollen doch, so Molières Maxime, klingen wie Alltagssprache. Das kommt nicht nur im musikalischen Vorspiel, das kommt auch im Spiel der Akteure heraus, gleich schon, wenn  Sosias auftritt, der Diener von Amphitryon, dem griechischen Feldherrn, der der Komödie den Titel gibt.  Joachim Meyerhoff (als Sosias) geht es nicht um die wunderbaren Verse, man kann ihn nicht immer verstehen, Meyerhoff lässt einfach die Sau raus. Sosias ist eine wunderbare Rolle, Molière war nicht nur Dramatiker und Theaterleiter, er war Schauspieler – und Meyerhoff holt aus der Rolle des feigen kleinen Mannes, der seiner Dienerrolle ebenso überdrüssig ist wie seiner Frau, alles an Komik heraus, was in ihr ist. Er holt noch mehr heraus – die Lust, die es macht, zu übertreiben. Hemmungslos.

Alle Schauspieler übertrieben, dass sich die Balken biegen. Werner Eng spielt die Nacht als eine versiffte Alte, die für ihre Begierden einfach zu viele Jahre zählt und urkomisch ist in ihrem Auftritt als haltlose Erotomanin. Das ist nicht nur zugespitzt, sondern überspitzt, so weit, dass die Verse, die Reime hindrängen zum Gesang. Jeder, der weiß, dass Molière Franzose war, muss den Sprung der Nacht zum Chanson verstehen, billigen und in beifälliges Gelächter ausbrechen. Und hat seinen Spaß in der Dekonstruktion dieser Art von (typisch französischem Chanson-) Gesang, die in tragisch-falscher unglaubwürdig-professionell-melancholischer Manier ihre Meister(innen) findet. Edith Piaf wird hier gewürdigt – und da es um Franzosen geht, gibt es Ausflüge in Asterix‘ Gefilde, von denen Molière noch nichts ahnte. Alles hat seine Grenzen? Au contraire!

Wer glaubt, dass sich die  Kostümbildnerin (Victoria Behr) von dem Humor der Schauspieler in den Schatten stellen ließe, irrt – sie macht sich lustig, dass es kracht. Jupiter, der sich in die Gestalt Amphitryons verwandelt hat, um dessen Frau Alkmene zu verführen (und beiläufig Herkules gezeugt hat), erinnert von fern mit seiner Allongeperücke, seinem Goldröckchen und seinen bändchengeschmückten Pumps an (eine Karikatur von) Ludwig XIV., was bei Molière naheliegt, dessen Gönner dieser grässliche Monarch war.

Fast noch besser als die Herren sind die Damen: Annika Meier als Alkmene und Carol Schuler, die Frau Sosias‘. Beide übertreiben unglaublich in des Wortes verwegenster Bedeutung, beide singen, beide tanzen und zeigen einen starken sexuellen Appetit, der nur noch von ihrer Launenhaftigkeit und ihrem Machthunger übertroffen wird.

Und in solchen dramatischen Höhepunkten springt die Lust der Verzerrung bis zur Kenntlichkeit, die Lust der DarstellerInnen, ihre Lust an der Befreiung, der Entfesselung um in Disziplin. Der Witz, der Esprit, der Quatsch und der zum Blühen gebrachte Blödsinn stellen sich in den Dienst des Sinns, der Dar-und Bloßstellung des Krieges, der Eitelkeit, der Machtgier und des wasweißichnichtnochallesistdrinherrlich.

Ich war bei der xten Vorstellung, Premiere war schon am 13.Oktober letzten Jahres, trotzdem musste ich mich früh um eine Karte bemühen. Das Haus war ausverkauft, das Publikum, viele bemooste Häupter, ging mit, es war fidel, der Beifalls wollte nicht enden und selbst die Applausordnung war noch durchinszeniert, es gab zum guten Schluss noch ein paar Extralacher.

Das Theater weist noch mal drauf hin, welchen Schatz es birgt in der Kreativität der Schauspieler, in der Spiellust des Ensembles. Das ist ganz im Sinn Molières. Er hat mitgeklatscht.

Pas si mal.

                                                                              Ulrich Fischer

Termine unter www.schaubuehne.de – Spieldauer: 2 Stunden.