Ungeklärt

René Polleschs „(Life on Earth Can Be Sweet) Donna“ im Deutschen Theater Berlin

BERLIN. René Pollesch ist ein phantastischer Dramatiker – im doppelten Sinn des Wortes: einmal, weil er eine unwahrscheinliche Karriere gemacht hat, er wird demnächst Leiter der Berliner Volksbühne; aber phantastisch auch, weil er eine ganz ungewöhnliche dramaturgische Linie vertritt, sie ist nicht nur revolutionär, sie ist auch erfolgreich. Pollesch wendet sich energisch gegen das bürgerliche Theater, weil sie so vielen Künstlern die Möglichkeit zu eigener Kreativität beschneidet oder ganz nimmt. Z.B. Schauspieler: ein Intendant bestimmt, welche Rolle sie spielen dürfen und ein Regisseur bestimmt, wie sie sie spielen müssen. Ihr eigenes Schöpfertum bleibt auf der Strecke. Auch der Dramatiker hat nichts zu lachen – wie oft haben Regisseure sich seines Stückes bemächtigt und es so verhackstückt, dass der Dramatiker, der eigentliche Schöpfer, es bei der Uraufführung auf der Bühne selbst kaum wiedererkennen konnte.

Pollesch macht es anders: er entwickelt zusammen mit seinem Ensemble die Stücke während der Proben – und dieses Stück wird nur von ihm und seinem Ensemble gespielt. Nur in Ausnahmefällen darf ein anderer Regisseur, ein anderes Ensemble die von Pollesch und seinen Leuten entwickelten Stücke spielen. Das ist ein Konzept gegen die Entfremdung. Es geht nicht um den Verkauf geistigen Eigentums, es geht darum, der Kreativität eine Schneise zu schlagen.

Gegen alle Wahrscheinlichkeit hatte Pollesch, nach langen anfänglichen Schwierigkeiten, Erfolg – und jetzt hat er sogar mehrmals schon im Deutschen Theater, einem  Hort bürgerlichen Theaters,  Stücke entwickelt und aufgeführt. Auch das Deutsche Theater will modern sein, selbst wenn es Stücke von Pollesch zeigen muss.

Das letzte, „(Life on Earth can be Sweet) Donna“, ist missglückt. Es fängt schon mit dem rätselhaften Titel an und geht gleich mit dem Bühnenbild von Anna Viebrock weiter. Dort findet sich kein konkreter Ort, offenbar handelt es sich um etwas Theatermäßiges, denn Kulissen dominieren, vor allem deren Rückseite.

Fünf Schauspieler treten auf, eine Dame, vier Herren. Die reden viel über die „Straßenszene“, ein wichtiger Baustein Bertolt Brechts für seine Theorie des epischen Theaters. Die Figuren werden sich nicht klar, was die Szene bedeuten soll, streiten – und für den Zuschauer ist es schwer zu entscheiden, ob hier Brecht kritisiert, das epische Theater dekonstruiert oder ein Witz über jenes Theater gemacht werden soll, das sich um Erkenntnisgewinn bemüht.

Offenbar sollen diese Szenen komisch sein, einige Schauspieler  verwandeln sich in Pappautos – aber der Witz zündet nicht. Er zündet selten, zu selten, auch wenn in den folgenden Szenen über die Versuche von Schauspielern gesprochen wird aufzutreten und sie enorme Schwierigkeiten haben – ein Darsteller (Martin Wuttke), der gern König Lear spielen möchte, traut sich nicht, vor Publikum aufzutreten. Es gibt Lacher, aber nur vereinzelt.

Das Stückchen dauert nur 90 Minuten (wie oft bei Pollesch) und wirkt trotzdem zu lang, weil es zäh ist. Am Ende beginnen die fünf Darsteller noch einmal in Gespräch über das Theater und während es in Belanglosigkeiten verläppert, gehen sie in Richtung Bühnenhintergrund. Musik, Schlussapplaus. Ende. – Die Quintessenz, wenn es denn eine gibt, soll wohl heißen: Lasst alle Hoffnung fahren! Das Theater kann nicht zum Erkenntnisgewinn beitragen, geschweige denn zum Bewusstseinswandel.  Warum aber der ganze Aufwand? Das Ergebnis liegt in klarem Gegensatz zum Aufbruch Polleschs: der ehemalige Theater-Revolutionär, der die Entfremdung im Theater aufheben wollte, wird nun zum  Skeptiker, der dafür plädiert, alles zu lassen wie es ist.

Das ist schade – und theatralisch alles andere als überzeugend.

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So überzeugend die Kritik Polleschs an der Entfremdung des bürgerlichen Theaters ist, die notwendig mit der Arbeitsteilung einhergeht, so überzeugend das Konzept, gemeinsam, zusammen mit allen am Produktionsprozess Beteiligten das Stück zu entwickeln, so wenig darf man vor einem gravierenden Mangel die Augen verschließen: von Anfang bis Ende sind ja im allgemeinen nicht mehr als sechs, höchstens acht Wochen Zeit, die sonst nur für die Proben angesetzt werden. Dieser Zeitdruck führt vielleicht dazu, dass irgendwann einmal die Akkus sauer werden –möglicherweise war das ein Grund für die  Schwäche von „Donna“.

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Musik spielt bei der Aufführung eine große Rolle, ein paar Hits habe ich erkannt, eine Suite von Kurt Weill (glaube ich) auch. Ich hab mal im Programmheft geschaut, hab‘ aber niemanden gefunden, der für Musik verantwortlich zeichnet, nicht einmal eine Playlist. Mangelt es Pollesch, dem DT an Respekt vor den Musikern? Das ist gegen alle Regel und wäre überdies ein flagranter Widerspruch zu Polleschs Maximen. – Bitte ergänzen!

                                                                                  Ulrich Fischer

Nächste Aufführung am 12. und 22. 3.- Spieldauer: 90  Minuten.