„Es leben Götter, die den Hochmut rächen!“

Schiller, Maria-Stuart-Buchstück im kranken Thalia

HAMBURG. Das Thalia Theater in Hamburg kann nicht vor Publikum spielen, die Corona-Krise.  Die Bühne sann auf einen Ausweg und bot eine Videofassung für die Premiere an, die, wäre die Krise nicht dazwischen gekommen, am Samstag über die Bretter gegangen wäre. Schillers „Ode an die Freiheit“ stand auf dem Programm – „Ein Triptychon nach Friedrich Schiller/Regie Antú Romero Nunes/ Online-Premiere Maria Stuart“.  Am 4. April soll „Wilhelm Tell. Ode an die Freiheit 2“ folgen und der dritte Teil, „Kabale und Liebe“ konnte „aufgrund der Krisensituation nicht mehr fertiggestellt werden.“

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Ein Fragment. Nicht mehr. In der Filmfassung von Martin Prinoth konnte der Zuschauer auf dem  kleinen Schirm Karin Neuhäuser (Maria) und Barbara Nüsse (Elisabeth) zunächst  in der Maske beobachten, wie sie sich auf ihren Auftritt vorbereiteten – zwei alte Schauspielerinnen, die wenig Anstalt trafen, die Spuren ihrer Jahre zu verwischen. Josef Ostendorf, ein korpulenter Komödiant, wusch sich auf der Toilette die Hände, ging ins Parkett, spielte einen Zuschauer und nahm   eine Flasche Sekt mit, offenbar entschlossen, sich zu unterhalten.

In den knapp vierzig Minuten im Internet war auf der fast gänzlich leeren Bühne des Großen Hauses die Szene zu sehen, die Schiller frei erfunden hat: Maria Stuart, die Königin von Schottland, trifft Elisabeth, Englands Königin,  3. Aufzug, 4.  Auftritt.   Die beiden Königinnen streiten. Maria, wegen Hochverrats zum Tod verurteilt, hofft, dass Elisabeth sie begnadigt – vergeblich.

Die beiden Schauspielerinnen wetteifern, zwei böse alte Weiber zu spielen, die keine Gnade kennen, denen es einzig um Macht geht. Elisabeth hat in ihrem Königinnenleben erfahren, dass Gnade nur Schwäche wäre. Und sie wird sie schon allein deshalb nie walten lassen.

Von der Königinnenebene ist in der Inszenierung wenig übrig geblieben. Elisabeth hat sich (wie der Zuschauer!) eine Flasche Champagner mitgebracht und nimmt ab und zu ein Schlückchen. Als Maria was abhaben will, muss sie sich mit einer Dose Bier begnügen. Eine Travestie.

War da nicht was? Gab es bei Schiller nicht ein Konfliktchen? Zwischen Protestantismus und Katholizismus? Ein Streit, der Europa erschütterte? Schillers brillanter Dialog gibt einen Rest Ahnung, die alten, verkommenen Weiber dementieren das wieder, obwohl die Schauspielerinnen sprecherisch die bis heute unübertroffenen Verse meistern. Das Visuelle dementiert das Akustische.

Aber der alte Schwung ist hin. Schillers dramatische Dynamik weicht Bildern von Alter und verkommenem Hedonismus.

Die sich fortsetzen ins Publikum. Der Zuschauerraum ist leer bis auf Josef Ostendorf. Der Schauspieler ist mehr als nur korpulent und glotzt süchtig nach Genuss auf die Bühne. – Wenn der Regisseur, wenn das Thalia uns, seine Zuschauer, so sieht, Leute, die auf nichts als Völlerei aus sind, warum spielen sie dann Theater?   

Das Video hat trotz des kleinen (Bildschirm)Formats einen Vorteil: Die beiden Schauspielerinnen können im Close Up ganz nah betrachtet werden, ihre Mimik wird von schmeckerischen Mündern, von nach vorn gestülpten (schmatzenden?) Lippen beherrscht.  

Die Inszenierung von Antú Romero Nunes wird der Kunst der Schauspielerinnen nicht gerecht, er vereinfacht, schlimmer: simplifiziert. Schneidet da ab, wo Schillers Reflexion beginnt, in der europäischen Politik. Warum verkürzt Romero Nunes den uns vollständig erhaltenen Fünfakter zum synthetischen Fragment? Die Frage ist nach dem ersten der drei Teile nicht zu beantworten.

Aber der erste Teil macht keine Lust auf mehr, zumal offenbar der dritte in absehbarer Zeit nicht zu sehen sein wird.

Insofern ist es wirklich eine gute Idee,  vor der Premiere auf dem Theater immer einen größeren Ausschnitt zu zeigen – wenn die Krise vorüber ist und die Theater wieder geöffnet sind. Dann kann der Zuschauer aufgrund der Videoeindrücke entscheiden: der Weg zum Thalia lohnt sich, oder nicht.

Den zweiten Teil des Triptychons Anfang April schau ich mir noch (auf dem Bildschirm) an.  Trotz meiner Enttäuschung. Ich bin zornig, weil ich den Eindruck gewonnen habe, Antú Romero Nunes wähne, er sei Schiller gewachsen oder gar überlegen. Werch ein Illtum! Meine Lust ist vielmehr gewachsen, nach so viel überheblichem Regietheater mal eine Inszenierung zu sehen, die sich von Schiller inspirieren lässt. „Ode an die Freiheit“ nennt sich das „Triptychon“ – im ersten Fragmentfragment habe ich davon nichts bemerkt.

„Es leben Götter, die den Hochmut rächen!“ (Maria, III,4).

                                                                                     Ulrich Fischer

Internet: https://www.thalia-theater.de/stueck/ode-an-die-freiheit-2019