„Memento mori!“

Ökodiktatur: IKI.radikalmensch von Kevin Rittberger

IM   RAUM DER ZUKUNFT.  Die „stücke“ in Mülheim, ein rot notiertes Datum im Kalender vieler Schauspielfreunde, versammeln jedes Jahr im Frühling an der Ruhr die wichtigsten „stücke“, die im letzten Jahr uraufgeführt worden sind, um den „Dramatiker (oder die Dramatikerin) des Jahres“ zu wählen. Es soll dezidiert um StückeschreiberInnen und ihre Stücke gehen, nicht im Inszenierungen und Regisseure (wie beim Berliner Theatertreffen).

Ein Schwachpunkt des Wettbewerbs, der unter der Leitung von  Stephanie Steinberg in den letzten Jahren immer mehr Ausstrahlung verloren hat, war und ist, dass das Publikum die Stücke nicht liest, sondern Inszenierungen sieht. Regisseure stellten sich zwischen AutorIn und Zuschauer – und verfälsch(t)en häufig den Eindruck. (Wenn ich an eine Handke-Aufführung [Untertagblues. Ein Stationendrama, 2005 in MH] denke, ärgere ich mich noch heute).

Die Jury hat ihre Arbeit getan, acht Stücke (aus über 110) ausgewählt, aber sie können nicht aufgeführt werden – Corona! Warum das nicht als Chance begreifen?! Jede(r) kann die Stücke lesen (bleibt zu Hause, verschmutzt keine Umwelt) und sich ein Urteil bilden, unverfälscht von Regisseursinterpretationen. Der Nachteil, dass man die Bühnentauglichkeit des Stücks schwer einschätzen kann, wird mehr als aufgewogen durch den Vorteil, dass blasse Regisseure mit ihrer unmaßgeblichen Meinung die Stücke kontaminieren.

Deshalb hab ich mir vorgenommen, die Stücke zu lesen und Ihnen vorzustellen. Mein Vorschlag an den „stücke“-Wettbewerb: Stellen Sie bitte die Stücktexte ins Internet, damit Interessiertinnen sie mit einem Klick abrufen können.

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Peter Vogel spielt die Hauptrolle. Er ist eben dabei, sein Jurastudium abzuschließen und überzeugt offenbar in (s)einem furiosen Eingangsmonolog seine Prüfer, ihn zuzulassen; zuzulassen für eine Juristenkarriere, in der ihm Macht zuwächst, er viel entscheiden kann. In seinem Plaidoyer greift er Argumente auf, die in den Augen konservativ-reaktionärer Prüfer (das Publikum?) gegen ihn sprechen könnten – er war nämlich   Öko-Aktivist und hat demonstriert – vielleicht gegen Atomtransporte. Offenbar hat er sich an Schienen angekettet, die Polizei hat ihn abgeschnitten (entfesselt?).

Egal, die Details sind nicht entscheidend – die erfolgreiche Bewerbung ist nicht nur ein wichtiger Schnitt, sondern auch eine entscheidende Weichenstellung. Von nun an geht’s rasant auf Anpassung zu. Was Peter nicht wirklich schwer fällt – denn offenbar kommen seine Freunde, die mühelos als Grüne auszumachen sind, obwohl sie nie beim Namen genannt werden, an die Macht; und er hat andererseits eine Lebensgefährtin, die ihn liebevoll begleitet, auch in erotische Räume, seine IKI, eine Form künstlicher Intelligenz, die weibliche Züge trägt.

Peter, ein begabter Mann, nicht nur als Jurist, auch als Ingenieur, optimiert beständig seine Begleiterin, die immer mehr menschliche Züge annimmt – und Optimieren, das weiß Peter selbst am besten, Optimieren heißt: er formt sie nach seinem Bilde.

Das ist eine der zwei besten Pointen: im Lauf des Stücks wird Peter älter, schließlich alt und bemerkt, das seine Begleiterin eigentlich er selbst ist. Er liebt sich selbst. Der narzisstische Sozialisationstyp – Rittberger beschreibt ihn treffend, macht ebenso humorvolle wie treffende, boshafte Glossen über uns und unsere Selbstverliebtheit – bis zur Blindheit. (Im Mythos ja noch radikaler: Narziss ertrinkt bei dem Versuch, sein Spiegelbild im See zu küssen.

Die zweite Pointe ist mit der ersten eng verbunden. Der ITI, ein integriertes Modell, deshalb das erste I, wird zum UTI, die Maschine entfernt (emanzipiert, im Wortissen) sich immer weiter von der Hand ihres Schöpfers und erklärt zum Schluss, dass der ihn/sie nicht mehr programmiere. Eher andersrum. Zum Herrn der neuen Welt erklärt sich die optimierte Maschine, Knecht wird der ehemalige Herr. Hegel lässt grüßen, die gute alte Herr/Knecht-Dialektik.   

Kevin Rittberger

Rittberger exekutiert sie gekonnt, unterhaltlich und überzeugend. Und für jene, die Mühe haben, die Quintessenz seines kurzen Stücks über die „Ökodiktatur“ (S. 22) selbst zu formulieren, lässt der Dramatiker Peter sie selbst kurz vor dem Ende, das ja auch in Dramen stets die Last trägt, sagen: „“Es geht um Narzissmus. Es geht um das Ende der Menschen als gesellschaftliches Wesen im Augenblick der größten Vergesellschaftung. Memento mori …“

Rittberger macht es seinen Protagonisten nicht leicht: die Schauspieler haben lange Monologe, müssen sich durch Textgebirge arbeiten – aber sie haben auch reizvolle Aufgaben – wie kann man die Ähnlichkeit der Geschlechter, ihr Altern, ihre vielfältigen Wandlungen spielerisch beglaubigen ….

Das Stück warnt, ohne zu bedrohen. Und Rittberger wählt für seine negative Utopie – von dieser Form her notwendigerweise didaktisch – ein Niveau, das die Debatte über künstliche Intelligenz auch für Laien verständlich macht, ohne den Gegenstand der Diskussion unzulässig zu vereinfachen.

Ich habe das Stück mit Vergnügen gelesen – und Erkenntniszuwachs.

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FÜR den diesjährigen Dramatikerpreis an Kevin Rittberger sprechen eben dieser Erkenntniszuwachs und die Wahl (ge)wichtiger, aktueller Themen.

DAGEGEN nichts. Rittberger hat das Stück im Auftrag des Festivals Spieltriebe/Theater Osnabrück geschrieben. Das Theater an der Hase ist klein. Das stellt junge Dramatiker vor Probleme: sie müssen sich auf das Allernotwendigste (Wesentliche) konzentrieren. Und sie müssen daran denken, dass Schauspieler und Regisseure gern weiterkommen möchten, zu größeren, leistungsfähigeren Bühnen. Sie müssen zeigen können, was sie können. Was in ihnen steckt. Der Dramatiker muss Raum für ihre Ehrgeize und ihre Kunst schaffen.

Für  Rittberger in seinem Stück „IKI.radikalmensch – keine Problem.

                                                                                              Ulrich Fischer

Kevin Rittberger: IKI.radikalmensch –  Verlag der Autoren

Ein Link: https://www1.muelheim-ruhr.de/sites/www1.muelheim-ruhr.de/files/2020_stuecke_programmheft.pdf