Ausbeutung der Alten & Kranken Inc.

John Grishams „Manuskript“ –  ein Blick aufs Sterben

John Grisham ist nicht nur einer der erfolgreichsten Bestsellerautoren der USA, er ist auch einer der besten. Sein Niveau hängt eng mit seinem Lieblingsthema zusammen: der Konflikt zwischen der großartigen Theorie, die die Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz garantieren soll auf der einen, und der enttäuschenden Praxis, die für Korruption anfällige Auslegung des Gesetzes: das Justizwesen, insbesondere die Anwaltsindustrie,  auf der anderen Seite. Wenn ein schlecht bezahlter, hoch motivierter, moralischer, vom Geist der Gesetze inspirierter Verteidiger um das Leben seines zu Unrecht verurteilten Mandanten kämpft gegen einen empathielosen, karrieregeilen und rassistischen Staatsanwalt, der den Tod eines Unschuldigen billigend in Kauf nimmt, ja, sadistisch sich auf dessen Hinrichtung freut,  ist Hochspannung garantiert.

John Grisham

Von diesem Thema weicht Grisham in seinem neuesten Roman ab. In „Das Manuskript“ knöpft er sich die Altenwirtschaft vor. Die Gewinnmaximierung kennen wir auch bei uns in Deutschland: Viele alte Leute, wenig Personal. Verelendung macht nix, es guckt ja doch keiner. Im „Manuskript“ kommt ein Autor einer weiteren Drehung der elenden Profitschraube auf die Spur. Ein Medikament, sterbenden Patienten beim Füttern mit der Magensonde verabreicht, bewirkt, dass das Herz gestärkt wird. Nebenwirkungen wie z.B. Blindheit muss die Heimleitung leider in Kauf nehmen, legal?, illegal? scheißegal!, der Patient kann sich ja nicht mehr wehren. Solange der Greis, die Greisin    weiter dahindämmert, kann der Altenheimbetreiber Unterstützung von den Sozialbehörden kassieren, jahrelang. Eine Quelle für Milliarden.

Als das Manuskript fertig ist und der Autor es seinem Verlag übersenden will, kommt er ums Leben. Jeder Grisham-Leser weiß: Mord! Der Auftraggeber dürfte in der Altenheimbesitzerszene zu suchen sein.

Grisham leuchtet die Autorenszene aus; die Schriftsteller verfolgen die Mörder.  Ganz nebenbei  schildert Grisham das süße Leben auf einer der der Ostküste im Süden der Staaten vorgelagerten Insel: beim Essen läuft einem das Wasser im Mund zusammen, die Getränke sollen hier mit Rücksicht auf alkoholgeneigte Leser ausgespart bleiben – köstlich. Ein kaltes Bier in der Hitze des Tages … Grisham beschreibt detailliert einen Hurrican (während der tobt, wird der Autor ermordet: Sturm!), die Figuren sind großartig typisiert, der Protagonist ein Buchhändler, den Grisham-Aficionados schon kennen. Und Grisham plaudert aus dem Nähkästchen – über das Leben von Autoren in den USA: Anfänger, eine Frau kurz nach dem Durchbruch, faule Erfolgsverwöhnte und phantasiebegabte ältere, die verkaufsfördernd von den Freuden der Sexualität erzählen, die sie selbst nie genossen haben. Bea Reiter übersetzt wieder Grishams lakonische, kristallklare Sprache angemessen lakonisch und kristallklar.

Aber es nützt nichts: trotz dieser leserfreundlichen  Elemente, trotz eines skrupellosen Schurken mit seinen Zilliarden und Privatjets,  fehlt die Spannung früherer Romane.

„Das Manuskript“ ist nicht der beste von Grisham – aber da es ein echter Grisham ist, lohnt die Lektüre trotzdem.

                                                                              Ulrich Fischer

John Grisham: Das Manuskript.  Übersetzung: Bea Reiter. 367 S. kosten 22,00 €.