Chaos-Spiele gegen Langeweile

Köln startet mit Jan Bosses Inszenierung „Warten auf Godot“ erfolgreich in die neue Spielzeit
Von Günther Hennecke


Köln – Kein Bäumchen zeugt von Leben. Alles ist von weißen Laken überzogen. „Komm, wir gehen“, resigniert Estragon auch gleich zu Beginn. „Wir können nicht“, entgegnete Wladimir. „Warum?“, bohrt Estragon nach. „Wir warten auf Godot“, glaubt der Freund zu wissen. Und so warten sie und die Zuschauer auf das, was nie kommt, aber Thema ist in Samuel Becketts Klassiker aus dem Jahr 1948.Dabei ist vieles, ja fast alles anders als normal. Jan Bosses Inszenierung zu Spielzeitbeginn im Depot 1 des Schauspiels Köln ist geprägt von Distanz. Das CoronaVirus  zeigt auch hier sein Gesicht. Komm mir bloß nicht zu nah! Das gilt für die Zuschauer, die auf der Bühne wie in einem eigenen Bühnenbild wirken. Das gilt aber auch für die vier Akteure, die sich ihrerseits im Zuschauerraum tummeln. Kommen sie sich zu nahe, verwehren ausgestreckte Arme und Hände eine Umarmung. Mag das der Text auch von Ihnen fordern.


Leere Räume

„An leerem Raum“ fehlt es hier nicht, erkennt Estragon einmal. Ein Bild, das nicht nur existenzialistisch daherkommt. Der „leere Raum“ ist der eigentliche Zuschauer-Block, der, von weißen Hussen überzogen, mehr und mehr zum Spielfeld wird, zum Ort der Verzweiflung und vergeblichen Wartens, aber auch unbezwingbarer Komik (Bühne Moritz Müller). Jan Bosse, den Vorgaben der Corona-Maßnahmen strikt folgend, macht Becketts „Godot“ gleichwohl nicht zum doppelten Trauerspiel. Im Gegenteil: Nicht selten sind die vier Akteure auf der sich über 15 Zuschauerreihen nach oben hin erstreckenden Bühnenwelt außer Rand und Band. Mögen Estragon und Wladimir sich auch streiten, wer sich zuerst „aufhängen“ soll, der Bruch durch Komik ist stets spürbar. Sie haben Spaß am Spiel, vergnügen sich verbal. Verzweiflung sieht anders aus.


Pozzo als Zirkusdirektor
Wenn Bosse dann Pozzo (grandios und voluminös: Bruno Cathomas) mit Lucky (mitreißend: Justus Meier) auf die Bildfläche jagt, gerät die Inszenierung für kurze Zeit zur Arena. Den Zirkusdirektor spielt Pozzo, der eine große Schau abzieht. Nicht ohne nach seinem ersten Auftritt zu fragen: „Wie war ich?“ Und wenn dann Lucky, anfangs steif und tief gebückt unter dem Gepäck seines Herren schmachtend, zum Tanz aufgefordert wird, steht er seinem Herrn in nichts nach: Der wilde Tanz, den er auf einen Tisch knallt, kann sich sehen lassen. Unterstützt und vorangetrieben durch die hämmernde Life-Musik Carolina Bigges. „Erst tanzen, dann denken“, predigt Pozzo. Und Lucky, eigentlich ein versklavter Intellektueller, legt mit einer Sprach-Tirade los, die seinem Tanz mehr als ebenbürtig ist.


Das Chaos siegt
Kommt er nun, oder kommt er nicht? Wir wissen es, Estragon und Wladimir erst recht: Weder heute noch morgen wird Godot erscheinen. So verliert sich alles im Chaos. In einem Chaos, das oft zur Licht– und Musik-Schau gerät, letztlich aber den Zustand der Welt beschreibt, in der geprügelt und geschwafelt wird. Nur mit weniger Witz als in dieser Inszenierung.Wenn Pozzo, der Herr, schließlich blind und völlig hilflos wieder auftaucht und vom einstigen Sklaven an der Leine vorgeführt wird, wissen alle: Der da erwartet wird, wird auch „morgen“ nicht kommen. Nie. Aber Spaß muss sein. Eingebunden in eine sinnlos scheinende Existenz.


Aufführungen: 19., 20. September; 16., 31. Oktober.


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Warten auf Godot von Samuel Beckett
Premiere: 4. September 2020 Regie: Jan Bosse Bühne: Moritz Müller Kostüme: Kathrin Plath Musik: Carolina Bigge und Arno Kraehahn Licht: Michael Gööck
Schauspiel Köln


Kurz und bündig: Theater für Sinne, Kopf und Humor. Alles andere als ein Trauerkloß!