Stierschädel für die Freiheit

Oliver Frljic inszeniert Kleists „Hermannsschlacht“ in Köln
Von Günther Hennecke


Köln – Stierköpfe auf dem Schädel, Masken vorm Gesicht, Flügelhelme als Herrschaftssymbol. Das Halbdunkel des Raums macht das germanisch–heldenhafte Raunen geradezu körperlich spürbar. Langsam, fast quälend gedehnt sind zudem die Bewegungen der Akteure, während sich ihre Stimmen, begleitet durch rhythmisch betonte Passagen auf einem Piano, nicht selten überschlagen. Es geht um Verrat und Freiheit, im Depot 2 des Kölner Schauspiels um Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“.

Ein „Stück für den Augenblick

In Köln machte sich, in der zweiten Premiere der neuen, der Corona-Spielzeit, der Kroate Oliver Frljic daran, dieses Zeitstück ins Heute zu transformieren. Ein Stück, das erst zehn Jahre nach Kleists Tod durch Ludwig Tieck veröffentlicht wurde und auf sein  Uraufführung in Pyrmont weitere 18 Jahre warten musste. Wer Kleist schätzt, ja verehrt, dürfte die lange Missachtung dieses Stücks, das nach Kleists eigenen Worten „für den Augenblick berechnet war“, nicht verwundern. Ist es doch von einem Pathos durchzogen, das heute kaum mehr verständlich ist.

Kämpfe zwischen Kitsch und Kunst

Kitsch und Kunst, kindliches Ringelreihen und Schlachtengemälde „schmücken“ in riesigen Reproduktionen die vier Seiten hinter je zwei Zuschauerreihen. Da stehen sich Wilhelm Camphausens Schinken namens „Blüchers Rheinüberquerung bei Kaub“ und Caspar David Friedrichs „Abtei in Eichwald“, ein zerstörtes Gemäuer mit verkohlten Bäumen, gegenüber. Kinder beim Ringelrein spielen, neben einer Germania, ihr kindlich-naives Spiel. Doch als wichtigstes Bild-Requisit ist Paul Thumanns „Rückkehr der Deutschen aus der Schlacht im Teutoburger Wald“ zu sehen.

Verkünstelte Ästhetik

Was sich, eingerahmt von diesen Bildern, in einem engen Bühnen-Quadrat abspielt, ist voller germanischer Symbolik. Unter seinem geflügelten Helm beherrscht Hermann der Cherusker bereits das erste Bild. Ihm gegenüber agiert Thuiskomar, der Fürst der Sicambrier, der ihn als Bittsteller die Ohren geradezu volldröhnt. Schon in diesem Bild wird erkennbar: Der nur eineinhalbstündige Abend saugt und gewinnt seine kunstvolle, ja äußerst verkünstelte Ästhetik aus einzelnen Bildern, aus streng komponierten Szenen. Dabei verliert er sich freilich, zwischen Faszination und fast choreografischer Strenge pendelnd, in eine Folge attraktiver Einzelszenen und eindrucksvoller Bilder.

Permanenter Rollenwechsel verwirrt

So weit, so gut und reizvoll. Verwirrend ist freilich der permanente Rollenwechsel der sieben Akteure. Zuordnung ist nicht gewollt, das Verständnis zunehmend gestört. Wer dieses Stück nicht kennt, ist verloren. Zumal sich die Texte in dem etwa 100 Quadratmeter großen Raum – er ist in Nicht-Corona-Zeiten normalerweise die Bühne des Depots 2 – oft bis zur Unverständlichkeit verliert. Der Verlust ist schmerzlich genug, ist die Sprache Heinrich von Kleists doch eine der markantesten und packendsten, die die deutschsprachige Dramatik zu bieten hat. Immer wieder formen sich die sieben Akteure zu Bildern, bewegen sich im selben Takt, marschieren auf der Stille, werden auf Streitwagen herein geführt, werden zum Schwindelerregen gedreht – und wieder nach draußen geschoben.

Ironie und Pathos

Denkmäler werden zerstört, ohne dass Eindeutigkeiten erkennbar werden. Ironisch kommt dann freilich das minutenlange Schlussbild daher: Wie zu Beginn mit dem Flügelhelm bekränzt, wird Hermann, stocksteif auf einem fahrbaren Stahl-Ross sitzend, hereingeschoben. Ein Bild, das wohl den Heldenkult entlarven soll, gleichwohl und zum guten Schluss sein Pathos nicht völlig abstreifen kann.

Schauspiel Köln; Aufführungen: 10., 17., 18., 26., 29. September; 2 Std. 20 Minuten; www.schauspiel.koeln.de

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Die Hermannsschlacht

Von Heinrich von Kleist 
Premiere 5. September 2020 
Regie: Oliver Frljic Bühne: Igor Pauska Kostüme: Katrin Wolfermann Musik: Daniel Regenberg Licht: Jan Steinfatt 
Mit Alexander Angeletta, Nikolaus Benda, Nicola Gründel, Benjamin Höppner, Sean Mcdonagh, Hannah Müller und Ires Marie Westernströer 

Schauspiel KölnKurz und bündig: Eine Inszenierung, die durch ihre Details und die Kunst überzeugt, packende Szenarien in Bilder einzufrieren. Dabei irritiert der permanente Rollentausch. Und wer dieses Stück nicht kennt, ist hoffnungslos überfordert.