Frauen, ihre Mütter und Großmütter – Generationinnenfolge

Ewe Benbenek ist mit  „Tragödienbastard“  zum Dramatiker*innenwettbewerb 2021 nach Mülheim eingeladen

Das Theater verdankt seinen überragenden Ruf nicht zuletzt seiner Kühnheit. Es spricht Gedanken aus, die Zeitgenossen verwerfen. Als   „Die Weber“ vom jungen Gerhart Hauptmann uraufgeführt wurden, kündigte der Kaiser seine Loge im Deutschen Theater. Als Frank Wedekind“ Frühlings Erwachen“ schrieb, wagten die fortschrittlichsten Theaterleute nicht, das Stück zur Uraufführung anzunehmen. Der Zensor war empört und angewidert.

Ewe Benbenek fotografiert von Elisa Maria Schmitt

An diesen Ruhm des Theaters, an diese Tradition kühner Dramatiker*innen knüpft Ewe Benbenek an. In Ihrem Stück „Tragödienbastard“ sind im Personenverzeichnis drei Buchstaben verzeichnet, A, B und C. Es könnte sein, dass dies drei Facetten einer Figur bezeichnen. Sie ist eine junge Frau, hoch begabt, exzellentes Abi, herausragendes Studium und völlig mit sich zerfallen auf der Suche nach ihrer Identität.

Am Anfang des Stücks besucht sie ihre Großmutter in Polen. Die will wissen, wann ihre Enkelin endlich ihr ein Urenkelchen schenkt. Wie soll die junge Feministin der geliebten Oma erklären, dass sie gar nicht daran denkt, ein Kind zur Welt zu bringen.

Ein zweiter Anker zur Entdeckung ihrer Identität sind die Eltern. Sie kamen in die Bundesrepublik als Gastarbeiter. Das Leben war hart, die Arbeit schwer, die Wohnung eng – die Eltern schnallten ihre Gürtel eng, damit ihre Tochter auf die Schule und zur Universität gehen konnte. Und was macht sie jetzt nach dem erstklassigen Examen? Warum sucht sie nicht sofort einen guten, sicheren und angesehen Job? Die Eltern können nur den Kopf schütteln.

Die Mutter hatte ein Erlebnis in Deutschland, das sie erschüttert, ihr Selbstbewusstsein zu Nichts zermahlen hat. Eine Beschimpfung. Dieses Wort ist ein Unwort. Man darf es nicht aussprechen und nicht niederschreiben.

Dieses Wort, das die Autorin vermeidet, zunächst vermeidet, zwingt sie zu Umwegen. Sie ist schwatzhaft, sie ist larmoyant. Dann aber reisst sie sich zusammen und kritisiert die eigene Weinerlichkeit – sie hat ja drei Seiten,   da kann A B oder C schon mal den Kopf zurecht setzen.

Das feine Leben ist es nicht, die schicken Schuhe, die Ausschweifungen, der Rausch, die Kleider, die Klamotten, nein – alles nur Ausflüchte.

Dann kommt die Autorin zur Sache – weg von den Konsumräuschen. Sie erinnert sich sehr gut an das Wort, mit dem ihre Mutter gedemütigt wurde. Und sie nimmt das Wort in den Mund. Sie schreibt es nieder. Es wird auf der Bühne ausgesprochen. Mehrmals: „*****!“

Ich kann dieses Wort nicht niederschreiben. Es ist eine Beleidigung. Eine Beleidigung von Ausländern. Es soll auch und gerade die treffen, die lang hier bei uns gearbeitet haben und Deutsche geworden sind; es ist eine Herabwürdigung von Frauen. Es ist  niederschmetternd. Ich werde das Wort nicht gebrauchen.

Es erinnert ein bisschen an „Nigger“. In den Vereinigten Staaten wurde „Nigger“ z.B. zur Sklavenzeit gebraucht, aber auch lange noch danach. Eine Herabwürdigung – und es gab eine Zeit, in der das Wort dann zum Unwort wurde – bessere Kreise haben es vermieden – das „N“-Wort – schließlich   begannen schwarze Aktivisten, sich das Wort zu erobern – es verlor im neuen Zusammenhang seine ursprünglich pejorative Bedeutung und wurde zum Wort des Selbstbewusstseins: Wir nennen uns „Nigger“, wie unsere Feinde uns nennen, wir haben keine Berührungsängste. Im Gegenteil. Die „Nigger“ wurden eine bedrohliche Macht, mit der sich besser niemand anlegen sollte. Weg von der Opferrolle.

Ähnlich ist der Prozess hier. Ewe Benbenek ist kühn, sie kämpft um das Wort, mit dem ihre Mutter beschimpft wurde, will es in sein Gegenteil verwandeln. Und das gelingt ihr.

Es wird noch dauern, bis dieses Wort in die Umgangssprache aufgenommen werden kann, heute ist es noch zu unflätig, zu beleidigend. Aber Ewe Benbenek  reisst die Zäune des guten Geschmacks ein. Geschmack ist ihr piepegal. Sie will Emanzipation. Und die ist ohne Kampf nicht zu haben.

Ewe Benbenek nutzt ihren „Tragödienbastard“ als Waffe im Geschlechterkampf. In ihren Händen eine scharfe Waffe.

                                                                                              Ulrich Fischer