Das willst Du sehen!

Christine Umpfenbach ist mit  „9/26 – Das Oktoberfestattentat“  beim Dramatikerwettbewerb 2021

MÜLHEIM.   „9/26 – Das Oktoberfestattentat“ ist ein Dokumentarstück. Gegenstand ist, wie schon der Titel sagt: Das Oktoberfestattentat in München, es geschah am 26. September – 9/26 lehnt sich   an den Angriff auf die Twintowers in New York an, „9/11“ das Datum in amerikanischer Schreibweise.

Zunächst werden Betroffene vorgestellt –   die Vorfreude, aufs Oktoberfest zu gehen. Dadurch wird die Ruchlosigkeit des Attentats unterstrichen, es erfolgt aus heiterem Himmel – die Mörder nutzen die Arglosigkeit ihrer Opfer.

Christine Umpfenbach

Es folgt eine Beschreibung der Explosion und der Gefühle direkt nach dem Attentat, dann der Transport ins Krankenhaus und die Behandlung – das Wahrnehmen der schrecklichen Folgen. Christine Umpfenbach gelingt das Unmögliche – sie schildert sachlich die verheerenden Verletzungen; sie werden die Betroffenen verkrüppeln, körperlich und seelisch. Für ihr ganzes Leben.

Wieso forscht die Polizei nicht sorgfältig nach? Die Frage beantwortet das Spiel eindeutig: Die Beamten sind voreingenommen. Es kann kein Attentat von rechts sein, meinen sie, die Schuld müsse von links kommen. Das passt besser ins Raster. Hier wird der frühere bayerische Ministerpräsident wichtig, Franz-Josef Strauß. Mit nur wenigen Auftritten und Videoeinblendungen wird seine Interessenlage klar: er kandidiert für das Kanzleramt gegen Helmut Schmidt. Da passt das Attentat gut in seine antikommunistische Propaganda – passt seine Verharmlosung rechtsradikaler Kreise. Hier ist das Zentrum jener Macht, die es geboten sein lässt, nicht weiter nachzuforschen. Als Motiv der Attentäter kommt zu Tage, dass sie das Attentat der Linken zuschieben wollten, um Strauß Wähler zuzutreiben: dem starken Führer, der sie vor linkem Terror schützt.

Erst Jahrzehnte später wird die Verfolgung wieder aufgenommen – erschwert durch die Vernichtung wichtiger Beweisstücke. Es war angeblich kein Raum in der Asservatenkammer. Der Verdacht liegt nahe, dass hier Behörden eine Weiterverfolgung ganz bewusst behindern wollten und behindert haben.

Aber es gab nicht nur die aktiven Behinderer und die gleichgültige Masse, die schnell vergaß (schon am nächsten Tag, am Tag nach dem Attentat, wurde weiter Oktoberfest gefeiert, der Ort des Attentats neu geteert [und Spuren verwischt, unkenntlich gemacht]), es gab auch Mitbürger, die nicht locker ließen. Es ist ein ganz besonderer, berührender Moment, wenn Namen genannt werden, u. a, Ulrich Chaussy, ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks. Er war so stur – und bewies, dass Sturheit eine demokratische Tugend sein kann – Rechthaberei wundervoll, wenn sie das Recht in fast aussichtsloser Lage energisch verteidigt.

Zur Unkultur rechten Denkens und der Blindheit auf dem rechten Auge bei Polizei und Justiz passte die Herzensenge der Behörden, die den Opfern des Attentats notwendige Hilfen vorenthielt. Vorurteile gegen Leute von der Peripherie und kleine Leute. Die wehren sich ja nicht, da kann man gefahrlos Rechte verweigern.

Kurz weist Umpfenbach auf den Wandel hin, der sich in Jahrzehnten vollziehen musste, ehe die Untersuchung wieder aufgenommen wurde, ehe das falsche Ergebnis revidiert werden konnte – auch auf das Umfeld, die weiteren Verbrechen des rechten Terrors – nicht nur in Deutschland, in der ganzen Welt. Das Oktoberfestattentat – ein lokales Ereignis von universeller Bedeutung. Die Aufgabe, diesem Terror ein Ende zu machen, ist riesig – aber es ist nicht unmöglich. Die Wiederaufnahme erscheint als Beweis – und das Theater hat eine Aufgabe. Christine Umpfenbach hat die Ärmel aufgekrempelt.

Ihr ist ein klares, eindeutiges Dokumentarstück gelungen – und in ihrer Lakonie, in ihrem Streben, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, glückt es ihr, Szenen zu schreiben, die nach der Bühne drängen. Nach der Lektüre hatte ich sofort den Wunsch – den dringenden, unabweisbaren Wunsch: Das willst du sehen! Auf der Bühne – vielleicht eines der größten Komplimente, die man einer Dramatiker*in machen kann.

Gattungsmäßig ordnet Christine Umpfenbach „Das Oktoberfestattentat“ als „Ein Rechercheprojekt“ ein – Projekt gelungen.   Mission accomplished.

                                                                                              Ulrich Fischer