Dekonstruieren, destruieren und pürieren

Erkenntniszuwachs: Franzobels neuer Roman „Die Eroberung Amerikas“

Franzobel

Humor ist der erste, der beste und bleibende Eindruck von der „Eroberung Amerikas“, Franzobels (*1967) neuem Roman – ein frappierend origineller Auftritt. Eine seiner geistreichsten Formulierungen: „Der Mississippi, ein Strom so breit, dass drei Doppelkonsonanten in ihm Platz fanden.“ (S. 486).  Alle Seiten der Komik blättert Franzobel wie mühelos auf, neben Ironie vor allem Sarkasmus, aber auch Spott, Hohn und Humor von der finstersten Sorte. Gern hüpft Franzobel zwischen den Epochen, zitiert, was das Zeug hält – seine umfassenden Recherchen, die daraus resultierende  Beherrschung des Stoffs, seine jungenhafte Unbekümmertheit, Stile zu mischen, wie seine überschäumende Fabulierlust verleihen seiner künstlerischen Strategie heitere Souveränität.

Es geht, wie es im Titel steht, um die Eroberung Amerikas. Ferdinand Desoto, Franzobels Protagonist, versuchte Florida Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre des 16. Jahrhunderts mit seinen Soldaten und Priestern zu erobern. Einmal heißt es „… die Gauner waren in ihrem Element, sie hätten selbst Jesus für die Kreuzigung bezahlen lassen.“(S. 483). Das gilt für alle. Aber:  „Es waren Männer wie er (Desoto), die der weißen Spezies und dem Christentum die Vorherrschaft über die Welt sicherten.“ (S. 509). Sie sind grausam, rücksichtslos und borniert, meinen tatsächlich, sie hätten das Recht, die Indianer zu berauben, zu versklaven, die Frauen zu notzüchtigen und alle, wenn es ihnen passte, zu foltern und zu töten, obwohl ihnen doch die Zehn Gebote, das Beispiel Jesu zu als Orientierung dienen könnten.  Diese guten Katholiken hinterlassen auf ihrer Suche nach Eldorado eine Blutspur, –  ihre Suche bleibt vergeblich. Desoto stirbt verzweifelt einen elenden Tod.

Der Roman ist eine Abrechnung nicht nur mit der Conquista, sondern auch mit jenen Ideologen, die uns heute noch erzählen, der weiße Mann habe Kultur nach Amerika gebracht und den rechten Glauben. Franzobels zersetzender Humor dekonstruiert nicht nur diese immer noch allzu verbreiteten Narrative, er destruiert, er püriert sie und   gibt sie dem Gelächter preis (s. oben Stichwort Humor.) Aber Franzobel versucht auch, dem wilden Haufen gerecht zu werden: „Trotz der Schrecken, die seine Truppe verbreitete, war die Leistung dieser Leute übermenschlich.“ (S. 509).

Es gibt noch eine zweite Ebene, die in unserer Gegenwart spielt. Ein New Yorker Anwalt klagt im Namen aller indigenen Völker vor einem US-Gericht auf Rückgabe der gesamten USA an die Ureinwohner.

Wenn Sie wissen wollen, wie es ausgeht – lesen die das Buch! Trotz einiger weniger Längen lohnt die Lektüre. Nicht zuletzt wegen der Überraschung am Ende.

                                                                                        Ulrich Fischer

Franzobel: Die Eroberung Amerikas. Roman. Zsolnay. Wien. 2021. 550 S., 26,00 €. E-Book: 19,99 €. (Für Käufer des e-Books: Sie brauchen Geduld, manchmal folgt nicht die richtige Seite, Sie müssen vor- und zurückblättern, um den Anschluss zu finden. Lieber Verlag, bitte nachprüfen und korrigieren.)