Rundum humorvoll. Selbstkritisch. Witzig. Geistreich.

Klaus Modicks „Bestseller“

Klaus Modicks „Bestseller“ ist, obwohl nur 272 Seiten schmal, ein ungemein reicher Roman; eine Satire; mehr, eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb; noch mehr: mit der Kultur unserer Tage – die Kritik gleich mit einbezogen. Und ein Pageturner.

Klaus Modick

Lukas erbt; er ist Schriftsteller, sein Erfolg überschaubar wie auch seine Einkünfte. Deshalb freut er sich, als er überraschend die Nachricht erhält, eine längst vergessene, weit entfernte Tante habe ihm  ihr ganzes Erbe hinterlassen. Lukas wird enttäuscht, denn statt des erhofften Vermögens ist ein Koffer mit vergilbten Fotos und vollgeschriebenen Seiten die ganze Hinterlassenschaft. Lukas liest lustlos, was die Tante aufgeschrieben hat – wie war mal Nazisse, wendete sich zur Antifaschistin und endete  als Katholikin, als die sie, hochbetagt stirbt.

Lukas‘ Frau ist abwesend, vielleicht in Berlin um Tennis zu spielen, und Lukas geht oft ins Theaterrestaurant zum Essen (und Trinken) – dabei verliebt er sich in eine junge Schönheit, die am Theater ein Praktikum als Maskenbildnerin absolviert. Er sucht Vergessen  (warum nicht in einer Affäre), denn sein Verleger hat ihm ans Herz gelegt, der letzten literarischen Mode zu folgen, um endlich mal einen „Bestseller“ zu landen. Da kommt Lukas seine Idee: warum sollte er nicht die Wandlungen der verstorbenen Tante verwursten. Nazivergangenheit ist in. Und dazu noch die neue Freundin als Autorin gewinnen, denn junge Autorinnen mit ansprechendem Äußeren, das hat alle Voraussetzungen für einen  Star!

Gesagt, getan, Lukas schiebt alle Bedenken seines guten literarischen Gewissens energisch beiseite, schreibt erst einen Abriss, dann den Roman, die Freundin schickt ihn unter ihrem Namen nach und nach an Lukas‘ Verlag, der ist entzückt von der Schmonzette, die Lukas mit hundertachtundzwanzig Klischees   ausstattet, und lanciert die junge Frau mit dem einnehmenden Äußeren. Nicht nur das, der Verlag zahlt auch, aber die junge Frau gibt Lukas statt der versprochenen Hälfte nichts ab –  sie verschwindet. Kein Anschluss unter dieser Nummer, diese Adresse gibt es nicht mehr im Internet.

Modicks Geschichte vom betrogenen Betrüger ist schon an sich ein Lesevergnügen, es wird gesteigert durch seine tiefempfundene, wütende Abrechnung mit dem Kulturbetrieb, vor allem kenntnisreich bei den Verlagen. Und opportunistischen Verlegern. Das Theater bekommt Seitenhiebe, das Regietheater wird vernichtet und die Literaturkritik versenkt.

Modick legt nahe,   es gäbe einen Zusammenhang gibt zwischen Kritiken und Anzeigen: dass Zeitungen positive Kritiken veröffentlichen, wenn sie eine (hochbezahlte) Anzeige vom Verlag bekämen, diejenigen, die übergangen würden, schrieben kritisch (und kommen tatsächlichen Zusammenhängen mitunter gefährlich nahe.) Wie kann Modick so etwas auch nur annehmen – und dann noch schreiben. Unerhört!

Das Vergnügen an den treffsicheren Attacken auf die selbst verschuldeten Gebresten unserer Kulturindustrie wandelt sich in Entzücken, wenn Modick zusätzlich noch mit der Literaturwissenschaft abrechnet, vor allem mit den Strukturalisten und Poststrukturalisten – mit ihrem Theoriebombast und ihrer mühsam erarbeiteten Unverständlichkeit. Den Gipfel der Leserlust erreicht Modick, wenn er Lukas‘ (und seine eigene) Poetik kurz und bündig darlegt: „…angesichts der hochgestylten, nicht selten verblasenen Theorien hielt sich der Erkenntnisgewinn allerdings in engen Grenzen: Mit mir oder mit dem, was mich zum Schreiben antrieb, hatte das wenig bis nichts zu tun. Schließlich schrieb ich, und schreibe immer noch, Bücher – und nicht das, was sie bedeuten sollen; zum Beispiel solche Bücher, die ich selber gerne lesen würde. Was mich interessierte und immer noch interessiert, sind gut erzählte Geschichten, und mit ‚gut erzählt‘ meine ich eine unprätentiöse Schreibweise, die auf stilistische Effekthascherei verzichtet und zugleich Abstand zum Trivialen hält.“ (S. 140)

Genau das ist Modick gelungen – und er hat doch gleichzeitig auch noch das Programm der Postmodernen wie nebenbei, ganz ohne Prätention, erfüllt: die Reflexion seines Schreibens innerhalb der geschichtlichen Schranken des Betriebs. Humorvoll. Selbstkritisch. Witzig. Geistreich.

Fulminant.

                                      Ulrich Fischer

Klaus Modick: Bestseller. 272 S. kosten 9,99 € . (Geschrieben 2005 – 2006)