Taugenichtse & Nichtsnutze

Klaus Modicks „Fahrtwind“

Klaus Modick hat mit „Fahrtwind“ Joseph von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ überschrieben. Eichendorffs Erzählung spielt im frühen 19., Modicks Roman im späten 20. Jahrhundert, in den Siebziger Jahren. 

Klaus Modick

Ein junger Mann soll Nachfolger seines erfolgreichen Vaters, eines Unternehmers, werden, er soll die Firma übernehmen, tüchtig und wohlhabend wie Papi werden. Aber er hat keinen Bock, sich den ewigen Mahnungen der Eltern auszusetzen. Also packt er seine Gitarre und zieht los, gegen Süden.

Wer Freude am Vergleich hat, kann die verschiedenen Stationen von Modicks jungem Helden wiedererkennen in denen von Eichendorffs „Taugenichts“, die Konstruktion der Fabel ist ganz ähnlich.  Im Zentrum steht eine wunderbare Liebesgeschichte, umrankt von einfühlsamen Landschaftsbeschreibungen, Aufklärung über die Arbeitsbedingungen junger Musiker und die Sehnsüchte alter Menschen nach dem Trost von Genuss und Erotik.  Aber Modick belässt es nicht mit dem Nachvollzug, mit der Übersetzung vom 19. ins 20. Jahrhundert, er schürft tiefer. Es geht um eine Ähnlichkeit der Grundauffassung, was wichtig ist im Leben. Und da wagt Modick sich aufs Eis – er schmückt seine Erzählung wie Eichendorff mit Gedichten.

Dabei spielt Modick nicht nur auf Lyrik der Beatles und anderer Popgrößen an, er dichtet auch selbst – Eichendorff genießt längst (nicht nur) in Germanistenkreisen höchstes Ansehen, wer wagt es, sich mit ihm zu messen? Nicht immer gelingt es Modick, aber doch mit seinem zentralen Gedicht. Der Refrain lautet: „Gestern ist Vergangenheit/Bis morgen ist noch lange Zeit/Hier und heute tanzt das Glück/Jetzt in jedem Augenblick.“

Darum geht es, um das Glück, darum, den Augenblick zu erhaschen, zu genießen, ihn nicht zu verfehlen, weil man der Vergangenheit nachhängt oder auf die Zukunft hofft, vielleicht sich auch vor ihr fürchtet.

Das gelingt im „Fahrtwind“, es gibt diese geglückten Momente, Modicks Plaidoyer überzeugt, ja, bei seinem Gedicht über den Augenblick entzückt es.

Modick erfreut aber nicht nur, er belehrt auch. Mutti und Papi halten nix vom Pop, Modick dagegen schätzt ihn wie sein Protagonist hoch, setzt seinen Kapitel kurze Zitate voran: von John Lennon und Paul McCartney, von Vito Pallavicini („Azzurro“) und Bob Dylan, um nur vier von vielen zu nennen. Diese Musiker, ausgewiesene Taugenichtse und Nichtsnutze, seien die Troubadoure, die Eichendorffs seiner Generation (Modick wurde gerade siebzig, herzlichen Glückwunsch). Modick nennt gute Gründe, sie anzuerkennen, neu und hoch zu bewerten. Liebe und Frieden, die sie besingen & beschwören, gewiss das ist alles ziemlich flach … Wirklich? Wären wir nicht besser gefahren, hätten wir Liebe und Frieden zur Maxime unseres Handelns gemacht? Ganz platt?

Aber Modick hat gehaltvollere Geschichten als „Fahrtwind“ geschrieben, z.B. „Der Schatten der Ideen“ und andere antifaschistische Romane, „Fahrtwind“ dagegen ist wunderbar leicht.

Zu leicht. Vielleicht?

                                                                  Ulrich Fischer

Klaus Modick: Fahrtwind. 195 S. kosten 20,00 € . – E-Book 16,99 €