Juli Zeh accuse

Juli Zehs „Über Menschen“

Juli Zeh hat ihren eigenen Kopp, schwimmt mit Lust gegen den Strom. Sie ist liberal bis in die Knochen, Juristin, die den Zweifel als Tugend systematisch betreibt, und sie möchte uns, ihre Leser*innen, überzeugen, dass diese Methode so ihre Vorteile hat.

Juli Zeh

Dazu hat sie eine Geschichte erfunden, mit der sie für Verständnis und Versöhnung plädiert: „Über Menschen“ erzählt etwas über Menschen, weniger über Übermenschen. Und wer sich für einen Übermenschen hält, sollte mal innehalten. Juli Zeh entwirft Gedanken gegen Nietzsche.

Ihre Heldin Dora entschließt sich, von Berlin in die Brandenburgische Provinz zu ziehen, in eine Dorf, eigentlich nur eine Siedlung. Neben dem zerfallenden Haus, das sie sich gekauft hat, wohnt ein kahlköpfiger Mann, der sich ihr vorstellte, er sei der „Dorf-Nazi“. Ist er das? Alle halten ihn dafür, aber im Lauf des Romans nährt Juli Zeh Zweifel – er ist wegen Körperverletzung verurteilt worden, musste ins Gefängnis – zu Recht? Juli Zeh ist am besten, wenn sie den „Nazi“ reden lässt – wir können nicht wissen, was war – ist er unschuldig?

Die Heldin des Romans wird unsicher, der Mann ist hilfsbereit – wie alle im Dorf -, er erzählt ihr seine Geschichte, und es könnte so sein, dass er ein echter, bösartiger Nazi ist, aber es könnte auch sein, dass er in das Lager gerutscht ist, weil die anderen (wir) ihn dorthin schubsen. Zudem ist er schwer krank, er hat eine bösartige Geschwulst im Kopf – sind sie die Ursache für fremden- und schwulenfeindliche Ausbrüche?

Juli Zeh legt sich überdies mit der Politik an: Dass viele Nachbarn der Protagonistin AfD wählen, erscheint folgerichtig. Wenn die Politiker Dörfer in Brandenburg derart vernachlässigen, dass kein Bus mehr fährt, die Läden verschwinden und das nächste Krankenhaus meilenweit entfernt liegt, muss sich niemand wundern, dass die verantwortlichen Parteien von den Wähler*innen verantwortlich gemacht werden. Sie haben selber schuld, wenn die AfD wächst und wächst, legt Juli Zeh nah – sie substantiiert ihre Argumente knochenhart: nicht nur Verteidigerin der wütenden, weil vernachlässigten Bürger, auch Staatsanwältin: Juli Zeh accuse.

Spannende Episoden, grundiert von der wohltuenden Absicht, mit der grundlegenden Skepsis Verständnis zu stiften, miteinander zu reden. Gerade in diesen Tagen, wo viele genau wissen, wer recht hat (sie); und deshalb ablehnen, mit anderen, die ihre Meinung nicht teilen, auch nur zu reden – gerade in diesen Tagen ist der Roman richtig, ein Plaidoyer für Toleranz. Ein Hinweis auf Fehlbarkeit. Eine höfliche Bitte, Brücken zu bauen oder zumindest über sie zu gehen. Nicht zuletzt eine Mahnung, den Graben zwischen Ossis und Wessis endlich einzuebnen.

Es ist ein Roman gegen Besserwisserei & Vorurteile – über Menschen.

                                                                  Ulrich Fischer

Julie Zeh: Über Menschen. 412 S. kosten 22,00 € . – E-Book 17,99 €