Terror & Gegenterror

Ian McGuire „Der Abstinent“

Zehn Seiten vor Ende könnte Ian McGuire seinen neuen Roman „Der Abstinent“ gut, positiv, optimistisch enden lassen, aber dann…

Ian McGuire – Foto: © Paul Wolfgang Webster

Der Abstinent, der dem Roman seinen Namen gibt, heißt James O’Connor, lebt Mitte des 19. Jahrhunderts, und ist Polizist. In Dublin hat er wegen einer Krise angefangen zu trinken und wird von einem wohlwollenden Chef weggelobt, nach England, nach Manchester. Er entschließt sich, abstinent zu werden und fängt neu an. Manchesters abstoßende, korrupte, dumme, hochmütige und gewalttätige Polizei setzt ihn ein, die (selbstmurmelnd verbotene) irische Freiheitsbewegung zu überwachen. Die Situation spitzt sich zu, als die Briten drei irische Freiheitskämpfer öffentlich hängen – die Befreiungsbewegung beruft einen amerikanischen Gesinnungsgenossen und Spezialisten, um mit einer   spektakulären Racheaktion den Briten zu zeigen, dass ihre Macht angreifbar ist. Stephen Doyle, der es im amerikanischen Bürgerkrieg zum Captain gebracht hat, reist über den Großen Teich –   der größte Teil des Roman beschreibt Zug und Gegenzug von britischen Staatsterroristen und irischen Gegenterroristen.

 Das liest sich außerordentlich spannend; McGuire geht ins Detail und zeigt, wie einfallsreich die Iren und wie stumpf die Briten sind. Der irische Anschlag auf den Bürgermeister von Manchester misslingt, aber drei andere Engländer müssen ihr Leben lassen. Die Briten versagen bei ihrer Fahndung nach den irischen Feinden, weil ihre Führung sich mit Konkurrenzkämpfen verzettelt. Stephen Doyle glückt die Rückkehr nach Amerika. McGuire beweist hier viel Humor, den von der trockenen irischen Art.

Am Ende folgt O’Connor Doyle nach Amerika, nimmt seine Spur auf, aber einen Moment, bevor er den Feind umbringen könnte, hält er inne – ihm wird die Unsinnigkeit der ganzen Aktionen klar, er bricht ab. Doch zu spät, Doyle hat bemerkt, wie gefährlich nahe O’Connor ihm gekommen ist, stellt und erschießt ihn.

Obwohl der Abstinent tot ist, schreibt McGuire weiter –   das Ende ist ein wilder, widerwärtiger und bizarrer Mischmasch aus Gottesfurcht, Schwulenprostitution und amerikanischer Heuchelei in San Francisco – vor dem großen Brand und Erdbeben   (18. April 1906), vor denen ein prophetischer Schützling O’Connors lang nach dessen Tod die Sünder der Stadt in apokalyptischen Predigten (vergeblich) warnt.

Die Lektüre lohnt, weil McGuire untersucht, analysiert und abwägt, wie sich das verhält mit dem Terrorismus – wie verrückt er ist und doch unausweichlich, wenn der Sinn für Gerechtigkeit so schwer verletzt wird wie im Kampf der Briten um die Herrschaft über die Iren. McGuire schreibt treffend, kurze Sätze, schwarz, lakonisch – und Jan Schönherrs makellose Übersetzung trifft diesen Ton.

Die Briten kommen schlecht weg.

                                      Ulrich Fischer

Ian McGuire: Der Abstinent. Aus dem Englischen von Jan Schönherr. 334 S. kosten 23,00 € .