Politik und Theater

Feministisches Theater, aktuell gewendet

Angelika Richter ist eine der scharfsinnigsten und -sichtigsten Komödiantinnen unserer Epoche. Sie spielt mit in Karin Beiers Uraufführungsinszenierung von Elfriede Jelineks neuer Farce „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ Eine der vielen Rollen, die sie verkörpert, ist eine wohlhabende oder reiche Dame, die in Ischgl an den  Après Ski -Orgien mitgefeiert hat, von wo aus mutmaßlich der Virus die Pandemie  in Europa weiterverbreitet hat. Wicke Naujoks hat   übertriebene Kostüme entworfen – Kostüme, die den Skiaspekt ins Absurde treiben und zeigen, worum es geht: aufzufallen in einer Umgebung, in der alle auffallen möchten.

Foto: Peter Hartwig

Ein andermal hat Angelika Richter die schöne Helena gespielt; als sie das Wort ergreift, verbittet sie sich die Behauptung, sie sei schuld am Trojanischen Krieg. Das hält sie nicht nur für abwegig, sondern auch für bösartig. Stellen Sie sich vor, Göttinnen verfolgen einen Plan, welche Frau dürfe sich dem in den Weg stellen?, fragt sie. – Angelika Richter spielte auf Frauen von alten Nazis an, die sich ähnlich rechtfertigten. Das war nicht nur komisch, sondern auch erhellend. Angelika Richter spielte keine schöne dumme Frau, sondern eine berechnende.

Angelika Richter ist schön, wunderschön. Ihre Ausstrahlung reicht bis zur letzten Reihe, und wenn sie lächelt, gehen die Lichter an. Das reicht ihr als Schauspielerin nicht – sie will zeigen, welche Eigenschaften mit weiblicher Schönheit einhergehen können – in dem neuen Jelinek-Stück ist es eine Konsumkonkurrenz, die an Blödigkeit und Sinnleere schwer zu übertreffen ist – und Gefallsucht. Frauen, die Angelika Richter darstellt, stellen sich häufig den Schwächen der Epoche nicht entgegen, sie reihen sich ein,   machen mit.

Als die Grünen sich auf den Weg machten, stellten sie sich gegen Geltungssucht und Gefallsucht. Joschka Fischer ließ sich als Minister in Turnschuhen vereidigen – die Turnschuhe stehen heute im Deutschen Museum. Der Ministerpräsident trug einen Dreiteiler, edles Garn und Schlips – er versuchte wohl, seine Vergangenheit als Arbeiter vergessen zu machen. Die Grünen standen gegen diesen Versuch vieler Sozialdemokraten sich anzupassen, sich dem von den Konservativen diktierten Geschmack   zu unterwerfen. Mackie Messer trägt auch Nadelstreifen, er will den Eindruck erwecken, er sei kein Verbrecher. Der Haifisch als Mitglied der besseren Gesellschaft. Die Grünen waren auf Seiten der Entlarver.

Damals!

Lang ist’s her. Annalena Baerbock unterwirft sich dem Gesetz: mehr scheinen als sein. Völkerrechtlerin. Mitglied von Dingsbums und Werweißwasnoch. Sie will Eindruck schinden. Dann entschuldigt sie sich – und hofft, damit sei alles erledigt.

Charakterschwäche

Folgt man der tiefer gründenden Komik von Angelika Richter, so ist hier nicht ein schnell mit einer Entschuldigung zu behebender Fehler gemeint, sondern eine Charakterschwäche. Sei es die schöne Helena, sei es die Gesellschaftsdame aus Ischgl. Angelika Richter bettet sich ein in ein Projekt feministischer Kunst. Das Stück hat eine Frau geschrieben, Elfriede Jelinek, österreichische Nobelpreisträgerin. Die Uraufführung hat eine Frau inszeniert, die schon länger an feministischen Projekten arbeitet, Karin Beier; ihre Dramaturgin ist Rita Thiele, eine der kenntnisreichsten Dramaturginnen unserer Epoche. Der Feminismus dieser Damen zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur Männer unter die Lupe nehmen, sondern auch Frauen, ihre Geschlechtsgenossinnen. Bei der Vivisektion kommt heraus, dass Eitelkeit und Geltungssucht mit einem Stich ins  Hochstaplerische  eine Charakterschwäche ist. Aufgabe der Dramatikerin, der Regisseurin wie der Komikerin ist,  sie  festzustellen, dem Gelächter preiszugeben in der Hoffnung, dass die Zuschauerinnen sich wiedererkennen und an ihrer Schwäche arbeiten, sie vielleicht gar überwinden.

Unsere Bundeskanzlerin hat gewiss viele Fehler, aber Eitelkeit und Hochstapelei gehören sicher nicht dazu. Nüchternheit ist eine ihrer Stärken. Vielleicht sollte Frau Baerbock danach streben. Ein erster Schritt nach der Einsicht des schweren Charakterfehlers wäre der Verzicht. Es steht ein Nachfolger bereit, der wenig Eitelkeit an den Tag legt und durch mehr Nüchternheit besticht.

Feministinnen würden vielleicht einwenden: Aber er ist ein Mann! Diese Art PrimitivPhallo- Feminismus ist nicht der, den die führenden Künstlerinnen am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg derzeit propagieren.