Die Idee wird zur materiellen Gewalt…

Maaza Mengistes „Der Schattenkönig“

Die Stärke von Maaza Mengistes „Schattenkönig“ ist das Sujet: Italiens imperialistische Invasion in Äthiopien 1935.  Ein unbeackertes Feld. Die Autorin,  1971 in Addis Abeba geboren, klärt auf über die Barbarei des faschistiscvhen Italiens – allerdings schreibt sie im „Dank“ am Ende: „Dieses Buch erzählt eine erfundene Geschichte“ – erfunden im starken Sinn, etwa wie in  Django Unchained – eine Rachephantasie.

Mengiste Maaza – Foto: Nina Subin

Italien wird von einem Oberst repräsentiert, der Sadismus zur Bestialität treibt. Als der Krieg längst zu Ende ist, ist er noch lange nicht vorbei. Äthiopische Widerstandsgruppen antworten auf den Terror der Italiener mit Gegenterror. Ein abessinischer Kämpfer dringt nachts bis zum Oberst vor, und droht ihn zu entmannen – lässt ihm aber Hoden und Leben. Dieses traumatische Erlebnis, eine Verschärfung der üblichen männlichen Kastrationsangst, ist der Auslöser, der der die Grausamkeit des  Colonnello zum Cäsarenwahnsinn steigert: er zwingt Gefangene, von einer Klippe in den Abgrund zu springen, sich selbst zu zerschmettern.

Diese Abscheulichkeiten bestärken die Entschlossenheit der Feinde – die schließlich den italienischen Außenposten angreifen und überwältigen. Der Oberst stirbt, zweifelt brechenden Auges an der Tragfähigkeit seines faschistischen Ideals vom Heldentod. Maaza Mengiste schwelgt in der Beschreibung des qualvollen Schurkentodes wie sie zuvor (wie Homer) in der Schilderung der Schlacht geschwelgt hat.

Grausamkeiten und das Leid der Opfer sind ihre Spezialität; zweimal singt sie das Lied der Defloration aus der Perspektive junger Mädchen, die nicht wissen, was und wie ihnen geschieht, die sich gegen die Überwältigung verzweifelt wehren – Opfer einer widerwärtigen Vergewaltigung.

Frauen leisten einen (ge)wichtigen Beitrag zum Sieg über die italienischen Besatzer. Sie erkämpfen sich in der patriarchalen Struktur der Äthiopier einen entscheidenden Platz – Maaza Mengiste malt Heldinnen. Für Männer greift sie zu dunklen Farben. Der Kaiser zum Beispiel ist ein Weichei, er flieht ins britische Exil, wird aber von Gewissensbissen gequält. Sein Volk vermisst ihn, es braucht für Mut zum Widerstand den verehrten Führer. Und hier greift ein Trick, der den Titel „Schattenkönig“ erläutert: einen einfachen Musiker, der Selassi ähnlich sieht, verkleiden die Widerständler als Kaiser. Das Volk glaubt, Haile Selassi sei zurückgekehrt, um sie im Kampf anzuführen. Die Äthiopier fassen Mut – da haben die Italiener keine Chance. Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift. (Marx)

Django Unchained, eine pralle Rachephantasie mit revolutionären&feministischen Einsprengseln.

Schwarzweißmalerei, Täter gegen Opfer – zu viel Süße, noch mehr Entsetzen – die Kolportageelemente, oft breit getreten,  beschädigen den Wert des Romans wie überspannte hochdramattttische Bögen. Brigitte Jakobeits und Patricia Klobusiczkys Übersetzung ist gut lesbar, aber wenn es heißt, die Amseln krächzten, frag ich mich, ob das ein Schnitzer der Autorin ist oder ein schlechte Übertragung. Wer den süßen Gesang meiner Amselfreundinnen angreift, bekommt es mit mir zu tun. Aber vielleicht ist es Lyrik. Weniger Gefühl, mehr Nüchternheit! – zu viel verlangt von einer abessinischen Löwin, die leidenschaftlich Anklage erhebt gegen die Unmenschlichkeit der Italiener? Als nüchterner Europäer fällt es leicht, ästhetische Überschreitungen zu belächeln. Jugendsünden? Kaum – die Autorin soll 1971 geboren sein. Salman Rushdie, der auch nicht eben mit Farbe geizt, schrieb hymnisch: „Ein fulminanter Roman, der Geschichte lyrisch zum Mythos erhebt.“

Wer solche Melange schätzt …

                                                                                              Ulrich Fischer

Maaza Mengiste Der Schattenkönig. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky. 575 S., die Printausgabe kostet 25,00 €, das e-Book 19,99 €.