Das Buch ist besser

Bühnenadaption von Ian McEwans Roman „Kindeswohl“ im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt

HAMBURG.  „Kindeswohl“ – was ist das? Ian McEwan konstruiert zur Erörterung der Frage einen kniffligen Fall. Adam ist siebzehn und leidet an Leukämie. Seine Eltern lehnen die lebensrettende Behandlung mit Blutderivaten ab – sie sind Zeugen Jehovas. Ärzte rufen, um dem Jungen das Leben zu retten, das Gericht an; Fiona, die zuständige Richterin, verlässt den Weg der Routine und sucht den jungen Patienten im Krankenhaus auf.

Fiona entscheidet zu Gunsten der Ärzte und Adam sieht ein, dass sie richtig gehandelt, ihm das Leben gerettet hat. Er verliebt sich in die kultivierte kluge, viel ältere Frau. Auch Fionas Leidenschaft ist entfacht – aber nach einem Kuss weist sie ihren stürmischen Verehrer ab. Adam verzweifelt und entscheidet sich nach einem Rückfall dafür, der Krankheit ihren Lauf zu lassen und zu sterben.

Julia Wieninger als Fiona und Paul Behren als Adam

Karin Beiers und Sybille Meiers Bühnenbearbeitung von Ian McEwans Roman folgt der Handlung, aber die Dialoge sind   zu schwierig – das Problem ist komplex und McEwan erörtert es in all seinen Facetten – auf der Bühne, gesprochen, geht zu viel verloren. Im Buch kann man nachlesen, wenn ein sublimes Argument zu diffizil ist, um im ersten Anlauf verstanden zu werden. Ian McEwan hat gut daran getan, den Stoff zwischen zwei Buchdeckeln zu erörtern, kein Stück zu schreiben. Und bei ihm wird klarer angedeutet, dass das wirkliche „Kindeswohl“ eine leidenschaftliche Affäre zwischen dem jungen Mann und seiner alten Richterin gewesen wäre, aber dieses „Kindeswohl“ in des Wortes verwegenster Bedeutung scheitert an Fionas Rücksicht auf die Konvention.

Auch Richard Eyres Verfilmung (2017) des Stoffs ist klarer. Die Geschichte wird (wie der Roman) ganz konkret in Großbritanniens Klassengesellschaft verortet. Johannes Schütz hingegen hat im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg eine abstrakte Bühne entworfen: Schwarz und Weiß. Das einzige Ornament bilden Musikinstrumente, zwei Klaviere setzen Akzente. Die Musik verweist auf das Sublime der Geschichte – solange sich die Schauspieler daran halten, ist der Abend erträglich, aber wenn Paul Behren als Adam und vor allem Julia Wieninger als Fiona Ausflüge ins Exaltierte wagen, wird es peinlich, schlimmer: mitunter unfreiwillig komisch. Karin Beier, die Regisseurin und Intendantin des Deutschen Schauspielhauses, hat mit „Kindeswohl“ keine gute Wahl für ihr Theater getroffen.

Eine gute Nachricht: Wenn Sie das Thema interessiert, können Sie ganz einfach den Roman lesen. Und der ist dazu noch günstiger als eine Theaterkarte.

                                                                                  Ulrich Fischer

Ian McEwan Kindeswohl. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Diogenes, 224 S. kosten 12,00 €.

Nächste Aufführung am 21., 22. und 30. 9.; 7., 9.,  29., 31. 10. und 5. 11.

Spieldauer: ca. 2 Stunden.