Ende gut, aber nicht alles …

Bühnenfassung von David Grossmans Roman „Was Nina wusste“ im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg uraufgeführt

HAMBURG.  Es ist verblüffend: trotz eines brillanten Ensembles, einer spannenden, bewegenden Geschichte, einer gekonnten Inszenierung erscheint „Was Nina wusste“ missraten – warum dieser Roman, den David Grosmann nach einer wahren Geschichte geschrieben hat, auf die Bühne muss, erschließt sich nicht.

Die Exposition ist schwer zu verstehen – soll auch; sie spiegelt Verwirrungen und falsche Mutmaßungen der Figuren: Auf der Geburtstagsfeier der 90jährigen Vera feiert auch ihre Tochter Nina mit und ihre Enkelin Gili. Nina grollt Vera, die Mutter habe ihre Tochter im Stich gelassen, und Gili spricht nicht mit ihrer Mutter, weil die einfach abgehauen ist, als sie noch ein Kind war. Erst in der Durchführung, nah am Ende, werden die Motive der scheinbaren Rabenmütter klar. Vera hat sich geweigert, gegenüber der jugoslawischen Geheimpolizei ihren Mann als Stalinisten zu denunzieren – und kam deswegen auf eine Gefängnisinsel, wo sie gefoltert wurde, um ihren Willen zu  brechen. Die Polizei stellte sie vor die Wahl: Entweder du verrätst deinen Mann oder du verrottest auf der Gefängnisinsel – und deine Tochter geht auf die Straße und vor die Hunde.

Tochter wirft sich der Mutter zu Füßen und erfleht Verzeihung – Foto: Eufinger

Die Enthüllung dieser Unmenschlichkeit ist ein Höhepunkt der zweistündigen Fassung von Regisseur  Dušan David Pařízek, sie wird hochdramatisch ausgespielt. Ute Hannig als Vera klettert auf einem Gerüst in blütenweißer Unterwäsche an der Wand des Malersaals (das Kammerspiel des Deutschen Schauspielhauses) hinauf – aber der Schrecken der Folter kann so nicht beschworen werden, auch das forcierte Sprechen hilft wenig weiter. Pařízek und sein Ensemble gehen oft, meistens in eine epische Distanz zur Handlung; eine kluge Entscheidung, ist doch der Versuch, eine Unmittelbarkeit bei Menschenschinderei herzustellen, von Vornherein zum Scheitern verurteilt.

Da ist es besser, den Roman zu lesen,   Abstand zur Handlung zu suchen. David Grossman hat gut daran getan, die epische Form zu wählen. Er gibt einen unschwer zu entschlüsselnden Hinweis: die unglückliche Familie will einen Film auf der Insel, auf der Vera gequält wurde, drehen, um die Geheimnisse der Vergangenheit zu enthüllen – aber ein Familienmitglied wirft die Aufnahmen und das Gerät von den Felsen in die See. – Gleichwohl endet das Stück optimistisch: Gili, die Jüngste, überwindet ihre Bedenken, ein Kind zu bekommen. Das Publikum sieht ein Foto des niedlichen Babys – es bekommt den Namen   seiner unglücklichen Oma.  Happy End.

Das Ende ist besser als die überflüssige Bühnenbearbeitung.

                                                                                  Ulrich Fischer

Nächste Aufführung am 11., 12.  und 13. 10.  

Spieldauer: ca. 2 Stunden.