Skepsis und Kritik

Maxim Billers neuer Roman: „Der falsche Gruß“

Maxim Billers neuer Roman „Der falsche Gruß“ ist so verflixt komplex und kompliziert, dass man ihn kaum nacherzählen kann. Im Mittelpunkt steht ein Icherzähler, dem es nach Anlaufschwierigkeiten und einem Himalaya von Selbstzweifeln gelingt, einen Roman zu schreiben, mit dem er Erfolg hat. Im Mittelpunkt dieses fiktiven Romans steht ein Mann, der in der stalinistischen Sowjetunion das Gulagsystem optimiert hat. Er hat die Häftlinge eingeteilt in Arbeitsfähige und Schwache. Die   Schwachen bekamen geringste Rationen und starben den Hungertod, die anderen bekamen die Differenz, die bei ihren unglücklichen Gefährten eingespart wurde, konnten arbeiten – und taten das auch, um nicht der anderen Seite zugerechnet zu werden und zu sterben.

Maxim Biller – Foto: Wolfgang Stahr

Aber nicht diese Biographie steht im Zentrum, sondern die Bedingungen, unter denen dieser Roman entsteht. Dabei zeichnet Biller ein Bild von der deutschen Literaturgesellschaft, das nicht nur bizarr ist (und an Heinrich Manns „Schlaraffenland“ erinnert), sondern in der die Konkurrenz die Literaten deformiert. Wer meint, dass Kunst bildet, die Moral hebt, wird hier eines anderen, aber kaum Besseren belehrt.

Biller verwendet und verfremdet reale Ereignisse der letzten Jahres, die Skandal machten, aber weniger die Erinnerung als vielmehr die Montage der Elemente tragen die Aussage, wie verrottet das System ist, wie schwer es ist zu bestehen und zu widerstehen. An die einzelnen Ereignisse kann der Leser/die Leserin sich möglicherweise  erinnern, aber die Summe, der Zusammenhang, den Biller konstruiert,  ermöglicht einen Blick auf den Bauplan des Systems, in dessen Mittelpunkt ein Baustein steht, über den auch der Große Präsident oft gesprochen und geflucht hat: Fake News.  

Der Einstieg ist schwer zu lesen, die Beziehungen wirken unübersichtlich, aber wer sich durchackert, wird reich belohnt. Es ist ein Roman, der zwar erklärt, wie weit wir entfernt davon sind, Vorurteile (wie z.B. den Antisemitismus) zu überwinden, der aber genau dafür plädiert. Wie man zu diesem aufs Innigste zu wünschenden Ziel gelangt, legt Biller nahe:

Die Stärkung von Skepsis und Kritik.

                                                                                                         Ulrich Fischer

Maxim Biller: Der falsche Gruß. Köln 2021. 120 S. kosten 20,00 €.