Baulöwen besiegt und Räterepublik ausgerufen

AufRuhr“ von Christine Lang, Volker Lösch und Ulf Schmidt, Uraufführung im Schauspiel Essen

von Martin Burkert

Volker Lösch ist bekannt für entschiedenes politisches Theater, bei dem er Regie führt und als Co-Autor mitwirkt. Mehrere Stücke von ihm sind aktuell auf mehreren Bühnen zu sehen, etwa am Düsseldorfer Schauspielhaus „Volksfeind for Future“ und am Schauspiel Bonn „Angst“. Nun kann man im Schauspiel Essen einen weiteren „Lösch“ begutachten. „AufRuhr“ hat er gemeinsam mit Christine Lang und Ulf Schmidt geschrieben.

Das Grillo-Theater ist kaum wiederzuerkennen. Es ist umgestaltet zur Raumbühne. Die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren zwischen den Zuschauern, die auf Drehhockern sitzen. Rundum hängen 10 mächtige Leinwände, auf die Videos oder historische und aktuelle Dokumente projiziert werden. Wir sehen ramponierte Häuser im Norden der Stadt und schicke Villen im Süden, auch Bilder vom Ruhr-Arbeiter-Aufstand von 1920. Jugendliche bekennen in Videoclips ihre Sympathie für Fridays for Future oder die Hambacher Forst-Aktivisten und sind dabei nicht sparsam mit Kapitalismus-Kritik. Ein Großprojekt, wie es im Stück der fiktive Essener Oberbürgermeister propagiert, finden sie sozial und ökologisch fatal, während der erste Bürger der Stadt sich in seiner Diktion gar an Martin Luther King orientiert:  Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich habe einen Traum für Essens Zukunft. Gehen Sie mit mir in eine neue Zeit, in ein neues, besseres Leben. 

Der Traum des ehrgeizigen Oberbürgermeisters heißt „Essen 5.0“, ein gigantisches Umbauprojekt, das den armen Essener Norden aufhübschen und neuen Wohnraum schaffen soll. Mit Hilfe einer Dollar-verliebten Investorin und einer rücksichtslosen Bauunternehmerin sollen Sozialwohnungen verschwinden und Hochglanzlofts entstehen. Doch der Plan geht nicht auf. Die Mieter wehren sich, repräsentiert durch den Ruhrpott-Rentner Grube, den Blogger Dimitrij, die idealistische Bauunternehmer-Tochter Lena sowie die Deutsch-Kurdin Adile. Im Showdown führt das zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die der Nazi-Parolen brüllende Polizeikommissar als „die Schlacht um Essen-Altendorf“ erklärt. Am Ende gibt’s gleich zwei Wunder. Die Baulöwen geben auf und die Aktivisten proklamieren die Räterepublik.

Regisseur und Co-Autor Volker Lösch zeigt einmal mehr inhaltlich klare Kante, Kapitalismus-Kritik mit unverstelltem Plädoyer für basisdemokratisches Denken und Handeln. Ästhetisch setzt er auf „demokratisches Theater“. Spielende und Zuschauende befinden sich auf einer Ebene, Film und Schauspiel wirken gleichberechtigt zusammen. Die Videos zeigen eine politisierte Jugend, ihre Bilder auf den riesigen Leinwänden sind sehr wirkungsvoll eingesetzt. Das ist beeindruckend und groß inszeniert.

Manchmal nervt es, dass das ansonsten hervorragende Schauspielensemble zu stark unter Dampf steht und alle im Stakkato sprechen. Die märchenhafte Geschichte könnte etwas mehr Humor vertragen. Auch hätten der dreieinviertelstündigen Aufführung, darin zwei Pausen, ein paar Kürzungen gut getan. Trotzdem: „AufRuhr“ bietet ein beeindruckendes Arrangement und ist auf jeden Fall ein diskussionsfördernder Abend.

„AufRuhr“ von Christine Lang, Volker Lösch und Ulf Schmidt, Uraufführung im Schauspiel Essen am 17.12.2021.

Die nächsten Vorstellungen: 6.1.; 7.1.; 21.1.2022 jeweils um 19.00 Uhr

Link zur Website: www.schauspiel-essen.de