Happy End

Édouard Louis‘  „Freiheit einer Frau“ auf der Bühne

HAMBURG.  Falk Richter  lehnt sich in seiner Bearbeitung und Inszenierung  von Édouard Louis‘ „Freiheit einer Frau“ eng an den Roman des französischen Schriftstellersoziologen an und erweitert ihn mit seinem Ensemble um ebenso kluge wie kurzweilige akustische, aber vor allem auch optische Einfälle. Katrin Hoffmann rückt ins Zentrum ihrer krassen, knallbunten Bühnenbildcollage zwei Elemente: eine gigantische steinerne Faust und ein goldenes Siegestor im römischen Stil à la Hollywood.

Die steinerne Faust symbolisiert die Zeit der Unterdrückung der Mutter. Sie lebt in der bleiernen Nachkriegszeit in der finstersten französischen Provinz, wird ungewollt schwanger und gleitet so in die ihr und ihren Geschlechts- und proletarischen Klassengenossinnen vorbestimmte Bahn – nicht nur Armut trifft sie, auch  die Abhängigkeit von ihrem Mann – ein roher Kerl, der säuft und sie regelmäßig verprügelt. Von da an geht’s bergab, noch mehr Kinder, noch weniger Geld, noch drückenderes Elend. Der erste Teil dauert fast zwei Stunden – zunehmende Misere, sie scheint ausweglos.

Paul Behren – Foto: Denis Kuhnert

Denkste,  denn dann kommt das Siegestor zu seinem Recht, seine Stirn ziert das Wort: Metamorphose. Die Mutter befreit sich vom Joch der Abhängigkeiten, zieht nach Paris und nimmt, wenn auch in bescheidenem Maß, an den Segnungen des guten Lebens teil.

Den Wendepunkt markiert das Ensemble als Revolution. Lange hat sich die Wut der Mutter aufgestaut, endlich sprengt sie die Dämme der Konvention. Sie wirft den Herrn Gemahl, der besoffen nach Haus kommt, raus; packt seine Sachen in einen Plastiksack und wirft ihn vor die Tür. Der Göttergatte mag klopfen, drohen oder bitten – er bleibt draußen. Die drei Musikerinnen (Peta Evlin, Bernadette La Hengst (sic!) und Bärbel Schwarz, eine knallharte, feministische  Hard [Heart?] Metall Band) – geraten außer sich. Sie waren schon zuvor alles andere als leise und kommentierten aus feministischer Sicht leidenschaftlich die Männermissherr- und wirtschaft, aber jetzt geraten sie aus dem Häuschen. Die Schlagzeugerin drischt auf ihr Instrument, das schmerz- und lustvoll die Klirrgrenze ins Reich des absolut Verbotenen hin höllisch überschreitet. Die Gitarren jaulen und die Sängerinnen brüllen. BRÜLLEN!!! – Wehe, wenn sie losgelassen, wachsend ohne Widerstand …

Ähnlich wie im stark mit Fakten, mit Erlebnissen angereicherten Roman rückt in der deutschen Erstaufführung der Autor ins Zentrum, der Sohn der Mutter (schauspielerisch und sängerisch ein Genuss: Paul Behren). Der Autor, den Behren spielt,  ist schwul, intelligent und schafft als Junge den Sprung aus dem Elend des Elternhauses, weil er aufs Gymnasium darf.  Er braucht eine Weile, ehe er die Überheblichkeit seiner Mutter gegenüber abstreift und sich am Ende über ihre Emanzipation, ihre Metamorphose, die er  begleitet und unterstützt, freut.

Das ist ein Happy End. Und es ist ganz schön unwahrscheinlich. Falk Richter inszeniert die Metamorphose zwar ganz im Sinn des Autors als Apotheose, als Sieg des Guten, der möglich ist, wenn frau nur Mut hat, Courage und Entschlossenheit, aber da das im wirklichen Leben vielleicht doch nicht ausreicht, auch ein bisschen ironisch. Das Ensemble spielt einheitlich großartig, aber am superspitzeunübertroffensten verkörpert Eva Matthes die Mutter: souverän und mit straffer Haltung, als hinterließen die Jahre an der Aktrice keine Spuren. Sie trägt am Ende eine schwarze (KöniginnenOpern)Robe mit goldener Schleife und Applikationen, wo sie nur möglich sind und wo sie unmöglich sind, auch. Andy Besuch hat Kostüme entworfen, die der deutschsprachigen Erstaufführung jenen Hauch von Ironie beimischen, der die Skepsis unterstreicht, die angemessen ist für das etwas simple Rezept von Édourd Louis in seiner „Freiheit einer Frau“.

Eva Matthes – Foto: Denis Kuhnert

In dieser Aufführung gerieten außer den Musikerinnen noch die Schauspieler immer wieder aus dem Häuschen – aber am Ende auch das Publikum. Minutenlanger Applaus, begeistert, Stürme, rhythmisches Klatschen und einige standen auf, um ihre Begeisterung zu zeigen, vor allem, als  Édourad Louis auf die Bühne trat, um mit dem Ensemble im buchenswerten Beifall zu baden. Sogar meine Frau erhob sich – und das tut sie selten.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Ulrich Fischer

Vorstellungen am  8. und 19.März; 6. und 16. April – Dauer: 2 1/2 Std.