Eine alte Meisterin

 

Ariane Mnouchkine inszeniert „Macbeth“ im und mit dem Théâtre du Soleil

 

PARIS. Ariane Mnouchkine ist die bedeutendste Theatermacherin Frankreichs, sie gehört zu den ersten Regisseurinnen in Europa und in der Welt, ihr Name wird in einem Atemzug mit dem Peter Steins genannt. Sie war eine der Gründerinnen des Théâtre du Soleil, des Sonnentheaters, eine vom Staat unabhängige Bühne, die antikapitalistisches Theater in Vincennes, vor den Toren von Paris, gemacht hat und weltweit für Aufsehen sorgte – in Deutschland zum ersten Mal mit einem Revolutionsstück, „1789“ – das Théâtre du Soleil nahm leidenschaftlich für die Revolutionäre Partei und gegen den parasitären Adel.

 

Elan vital

 

Bei der Haltung gegen die da oben für uns hier unten blieb das Sonnentheater bis heute. Französisches Volkstheater der Spitzenklasse. Kürzlich ist Ariane Mnouchkine 75 geworden, aber die berühmte französische Regisseurin hat nichts von ihrer Kraft verloren. Ihre neue Inszenierung, Shakespeares « Macbeth », birst geradezu vor Elan  – er heißt auch nicht einfach nur « Macbeth », sondern, selbstbewusst und bescheiden zugleich, « Macbeth, eine Tragödie von William Shakespeare, wie sie aktuell vom Théâtre du Soleil, vom Sonnentheater, 2014 gespielt wird. »

 

Zunächst fällt an dieser aktuellen Inszenierung auf, dass sie weder im Mittelalter, in der Epoche Macbeths spielt, noch in der Zeit Shakespeares, sondern in unserer Gegenwart. Gleich am Anfang hört man Schüsse, Hubschrauberknattern und Macbeth trägt eine Uniform von heute, später Smoking. Die Hexen benutzen für ihren Blick in die Zukunft ein Laptop.

 

Ungemein üppig

 

Die Aufführung ungemein opulent. Über vierzig Mitwirkende treten auf. Viele Umbauten sind nötig, sie werden auf offener Bühne von über einem Dutzend rasch zupackender Bühnenhelfer umgesetzt, ein Brechtscher Verfremdungseffekt.

 

Eine ihrer besten Regieideen siedelt Ariane Mnouchkine im Gewächshaus von Lady Macbeth an. Die Lady ist im Théâtre du Soleil eine begeisterte Hobbygärtnerin, König Duncan trifft sie, als sie gerade bei der Arbeit ist. Sie züchtet rote Rosen und hat ein transparentes Gefäß mit   leuchtend purpurnen Blättern gefüllt. Sie streut dem greisen König rote Rosen auf den Weg – die der, überrascht und geschmeichelt, als erotische Werbung auffasst. Aber der Zuschauer weiß es besser – Lady Macbeth streut die roten Rosen als Vorzeichen für das königliche Blut, dass sie plant, mit ihrem Mann zu vergießen.

 

Esprit, Theaterpferde & Symbole

 

Eine Stärke der Aufführung ist das augenzwinkernde Einverständnis der Theaterleute mit dem Publikum, subtile Ironie. Eine Szene wird, im Kontrast zu ihrer ernsten Bedeutung, humoristisch grundiert. Nachdem Macbeth König Duncan ermordet hat, trifft er sich mit seiner Frau heimlich im Pferdestall. Sein Hemd ist blutverschmiert. Links steht ein Schimmel, rechts ein Rappen. Die edlen Tiere, höchst sensibel, reagieren empfindlich auf die bösen Dämonen, denen sich Macbeth und seine Gemahlin verschrieben haben. Sie spitzen die Ohren, sie werfen den Schweif, sie wiehern entsetzt.

 

Das Théâtre du Soleil hat keine Pferde verpflichtet, jeweils zwei Darsteller spielen ein Pferd – und das machen sie so gut und einfühlsam, dass es ein paar Minuten dauert, bis das Publikum merkt, dass diese Pferde Theaterpferde sind. Dann überlagert das Schmunzeln über die von Menschen dargestellten Tiere die tiefernste Szene, in der Macbeth mit dem Schauder über die eigene Tat nicht fertig wird.

 

Schlechte Theatertraditionen

 

Serge Nicolaï spielt Macbeth. Nicolaï ist eine blendende Bühnenerscheinung, Mitte dreißig, Anfang vierzig, athletisch, kraftvoll,   sympathisch. Er muss sich Mühe geben, den Schurken zu spielen – und übertreibt. Die Mundwinkel zieht der Mime allzu häufig allzu tief nach unten, reißt die Augen auf, so dass er mitunter die rote Line zum Grimassieren überschreitet.  Seine Textbehandlung ist vom hohen Staatstheaterton geprägt, ein falsches Pathos, das das Théâtre du Soleil eigentlich schon überwunden hatte. Dementsprechend auch das abgebrauchte Gestenvokabular, die Eleganz von 1940.

 

Alle anderen nehmen diese Spielweise auf, auch Nirupama Nityanandan als Lady Macbeth – das beeinträchtigt die Inszenierung durchgehend. Aber dann kommen wieder aktuelle Szenen, die mit dem altmodischen Pathos versöhnen. Die Hofgesellschaft wird satirisch als Jahrmarkt der Eitelkeiten geschildert: elegante Kleider und modische Frisuren charakterisieren eine selbstverliebte, oberflächliche Gesellschaft, die entweder die Verbrechen Macbeths deckt oder ratlos ist, was zu tun wäre.

 

Die Aufführung dauert mit vier Stunden etwas zu lang und der Erkenntnisgewinn ist überschaubar: Macbeth wird von Ehrgeiz angetrieben,  Lust an der Macht verwandelt den begabten Offizier in einen Mörder und Tyrannen – das ist Shakespeares Analyse, mehr findet das Théâtre du Soleil auch nicht heraus. Ariane Mnouchkines aktuelle Inszenierung ist kein großer Wurf, sehenswert ist sie aber allemal.

Ulrich Fischer

Wird en suite gespielt. Internet: www. theatre-du-soleil.fr

Tel : 0033 1 43 74 87 63