Ein Regisseur von europäischem Format

Dimiter Gotscheff ist gestorben

 

Dimiter Gotscheff ist tot. Der Regisseur aus Bulgarien starb kürzlich 70jährig nach kurzer schwerer Krankheit. Er gehörte zu den Theaterleuten, die die deutsche Bühne in den letzten Jahrzehnten prägten.

 

Gotscheff wurde am 26. April 1943 in Parvomei geboren, kam Anfang der 60er Jahre nach Berlin, studierte zunächst an der Humboldt-Universität Tiermedizin und sattelte dann auf Theaterwissenschaft um. Er wurde Schüler von Benno Besson und verließ die DDR 1979 im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Er war stark von Heiner Müller beeindruckt und geprägt und inszenierte ihn auch zu Haus in Bulgarien. Müller war beeindruckt.

 

Gotscheff verband Abstraktion mit Anschaulichkeit – ein Paradox. Ein gutes Beispiel ist seine Inszenierung von Strindbergs „Fräulein Julie“ 1991 in Köln – sie wurde zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen.

 

Fräulein Julie

 

Das Bühnenbild war stark reduziert, eine große Schräge aus Holz, die  anstieg oder abfiel, je nachdem, aus welcher Perspektive man die bedeutungsvolle Schräge betrachtete. Fräulein Julie reizte der Abstieg, die Neigung zum Diener, zu Jean, Jean hingegen interessierte der Aufstieg, das Emporkommen.

 

Gotscheff setzte stark auf die Schauspieler und ließ ihnen viel Raum – es ging weniger um psychologische Einfühlung, mehr um Expressivität. Oft arbeitete er mit Almut Zilcher, seiner Frau, die auch in Köln Frl. Julie spielte.  Sie porträtierte eine junge Aristokratin, die mit dem Standesunterschied spielen wollte und nicht ahnte, wie bedeutsam er werden und sein konnte.

 

 

Der Auftrag

 

Wie Heiner Müller schien Dimiter Gotscheff die Welt   tragisch zu sehen – die Zeitgenossen erkennen Widersprüche, aber die Kräfte reichen nicht aus, sie zu überwinden. Die meisten Revolutionäre scheitern angesichts der Widerstände – am deutlichsten wurde diese Nähe von Gotscheff zu Heiner Müller in Gotscheffs Inszenierung von Heiner Müllers „Auftrag“, 1992 in Basel. Das Stück handelt von der Sklavenbefreiung. Während der Französischen Revolution versuchen drei Männer einen Aufstand zu initiieren, damit die Sklaven sich befreien. Sie scheitern –   ihr „Auftrag“, die Befreiung aller Erniedrigten und Beleidigte, bleibt deshalb bestehen – bis heute, bis er erledigt ist. Diesem Auftrag war auch Gotscheffs Theater verpflichtet.

 

In der Probenarbeit suchte Gotscheff immer wieder die Nähe zu seinen Schauspielern, bat sie, auszuprobieren, und schuf eine Atmosphäre des Vertrauens, in der auch das Überschreiten von Grenzen möglich war, das Absonderliche gewagt werden konnte, um nach neuen Zeichen für das Absonderliche im Normalen zu suchen, das Gotscheff alles andere als normal schien – Gotscheff war ein begnadeter Dialektiker mit einigem Humor.

 

So tragisch seine Inszenierungen auch wirkten, immer schien ihnen auch die Möglichkeit der Herausforderung inne zu wohnen. Als wolle er sein Publikum provozieren: So kann es doch nicht bleiben. Sucht nach einem Ausweg!

 

Gotscheff blieb seinem Land treu, er behielt seinen bulgarischen Pass, obwohl er so lange in Deutschland arbeitete – an allen namhaften Bühnen. Er hätte leicht einen deutschen Pass bekommen können, aber er wollte nicht zu den Privilegierten gehören.

 

Dimiter Gotscheff nahm Partei für die Unterprivilegierten. Das war das innerste Wesen seiner klugen, scharfsinnigen und immer forschenden Theaterkunst.

Ulrich Fischer