Angela Merkel als Sphinx

Juli Zeh schreibt ein Stück über die Kanzlerin

 

Juli Zeh zaubert Angelika Merkel auf die Bühne. Für kommenden Donnerstag (22. Mai) kündigen die Ruhrfestspiele die Uraufführung von  „Mutti“ an. Einen Zipfel lüftete die streitbare Autorin bereits:

 

„Letztes Jahr hab ich jemanden kennen gelernt, der Angela Merkel persönlich kennt. Der hat erzählt, wie sie so ist, wenn sie nicht im Fernsehen ist. Nicht privat, sondern wie sie sich im Hinterzimmer der Politik benimmt. Das war   erstaunlich, da wird von einer Frau erzählt, die man nicht kennt.  Da hat man das Gefühl, dass sich das auch nicht im Ansatz mit dem deckt, was man sonst medial von der Bundeskanzlerin vermittelt bekommt. Da wird erzählt, dass sie unfassbar viel Humor hat, dass sie eine sehr gute Imitatorin ist, dass  sie liebend gern auch andere Politiker imitiert, auch die Staatschefs anderer Staaten wunderbar  nachmachen kann. Dass dann immer viel gelacht wird und dass sie den ganzen Raum mit kabarettistischen Darbietungen unterhält.  Also ich hab‘ gedacht, ich hör ein Märchen.  Ich konnte mir nicht vorstellen, dass unsere Angela dann so zur Höchstform aufläuft.

 

Da hab ich angefangen, etwas zu entwickeln, was viele Menschen im Land schon haben,  eine Neugier darauf: Was ist das für ein Mensch?  Sie ist ein bisschen ein Faszinosum, weil sie wie eine Sphinx da steht, völlig undurchschaubar. Irgendwie finden sie alle wirklich toll, aber eigentlich weiß keiner warum. Dann kam der Wunsch, sich dem dramatisch künstlerisch zu nähern.“

Bei Mutti ist Angela Merkel die Hauptfigur: „Witzigerweise ist sie wie im richtigen Leben eine Hauptfigur, die sich wenig bewegt.  Die auch nicht so viel sagt.  Die aber durch dieses SichnichtBewegen und NichtvielSagen  in Wahrheit eine ungeheure Macht ausübt.  Das untersucht das Stück:  Die Frage, wie kann man durch geschicktes Abwarten  und durch geschicktes Nichtstun solche Macht über Menschen gewinnen?

 

Kommunikationskrise

Sie ist nicht die einzige Figur, die mitspielt; auch andere Figuren des Kabinetts  treten im Stück auf und es wird ein bisschen das Macht- und Intrigengeflecht zwischen diesen  Figuren beleuchtet…

 

…. vier Politiker aus der allerersten Reihe treten auf. Die Idee ist, dass es im Kabinett wirklich nicht gut läuft.  Die ‚Mutti‘ macht immer so Top-down-Entscheidungen, alle anderen sind echt angefressen, während es außenpolitisch ganz schlecht und krisenhaft läuft.  Die nächste Griechenland-Krise steht vor der Tür,  das wird vertuscht. Aber da muss das nächste Paket verabschiedet werden, das werden die Bürger nicht so gerne schlucken. Die Ukraine…, also alles ist brenzlig.  Dann wird ‚Mutti‘ von ihrem Kabinett gezwungen, sich einer Art Therapie, einem Kommunikationscoaching zu unterziehen, damit sie endlich lernt, wie man anständig miteinander umgeht. Das ganze Stück spielt in dieser Therapiesituation.

 

Das ist absolut eine Komödie, wobei ich einschränken muss, dass das eigentlich  für die Autorin und für ‚Mutti‘ gilt, für alle anderen Figuren ist das eine ziemliche Tragödie am Ende.“ Schmunzelt.

 

„Ich weiß, dass Angela Merkel eine große Leidenschaft für das Theater hegt und dass sie, wenn sie nicht in die Politik gegangen wäre, irgendwas mit darstellenden Künsten gemacht hätte. Wer sich näher mit ihr beschäftigt, bemerkt, dass an ihr eine ganz gewitzte Schauspielerin verloren gegangen ist.“

 

Zur Politik der Bundeskanzlerin fallen Juli Zeh grundsätzlich kritische Anmerkungen ein:

 

Kritik & Wünsche

„Was mir wichtig wäre, ist zweierlei und beides leistet Frau Merkel nicht, weshalb ich immer ihre Kritikerin bleiben werde:  Das eine ist, dass ich glaube, dass die Zeiten, in denen wir leben, und die von  und allen als hochkomplex wahrgenommen werden, die Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, egal ob das jetzt Eurokrise ist,  digitale Entwicklung, NSA – wir stehen eigentlich davor und haben das Gefühl, wir verstehen das alles überhaupt nicht mehr. Frau Merkel reagiert  darauf mit der Strategie: ‚Das muss auch keiner wissen. Wir machen hier die Politik, wir haben hier unsere Experten, wir lösen das hier schon irgendwie und wichtig ist eigentlich nur, was  hinten rauskommt, eine möglichst  praktikable Lösung. Und worum es gegangen ist, das geht eigentlich keinen was an.‘ – Das  halte ich für falsch, weil das mit Demokratie nichts zu tun hat.  Ich glaube, dass die Herausforderung an Politiker gerade heutzutage ist,  zu kommunizieren, was die Probleme sind. Auch wenn das schwierig ist, man darf das nicht einfach beiseite schieben.

 

Das werf ich ihr vor, auch ganz explizit, sie sagt: ‚Das interessiert doch sowieso keinen,  lasst mich nur machen, ich mach das schon. ‚ – Und das andere ist, dass ich glaube, sie verkennt die wichtigen Fragen der Zeit – auch deswegen, weil sie an sich gar nicht den Anspruch stellt  zu entscheiden, was wichtig ist  und was nicht. Sie lässt die Sachen einfach an sich herankommen. Wenn Fukushima kommt, dann ist auf einmal Umweltschutz ganz oben  und sie wird zur Gegnerin der Atomkraft, was sie vorher nicht war. Und wenn etwas anderes Drängendes sie am Schlafittchen packt, dann reagiert sie auch, aber sie nimmt halt nichts vorweg.

 

Sie überlegt sich nicht, was für eine Gesellschaft wollen wir in Zukunft sein?  Was sind unsere Werte, unsere Wünsche an und selbst? Ich glaube aber, dass wir genau das bräuchten, weil wir  in einer Umbruchsituation leben. Menschen brauchen auch Orientierung und man muss darüber reden , worauf man hinaus will.

 

Immer alles so laufen lassen und dann kommt der Klempner, wenn es irgendwo kracht , das ist so der Pragmatismus von Frau Merkel und das ist  glaube ich aber auf Dauer nicht gut, das führt  zu Politikverdrossenheit und zum  Fehlen von demokratischer Legitimation.“

 

Die Fragen stellte Ulrich Fischer

 

Juli Zeh: Mutti Uraufführung in Recklinghausen bei den Ruhrfestspielen am Do., den 22. Mai. Internet: www.ruhrfestspiele.de