Angela Merkel auf der Bühne

 

„Mutti“  von Juli Zeh und Charlotte Roos uraufgeführt

 

Juli Zeh und Charlotte Roos haben mit ihrem Drama „Mutti“ einen Pfeil ins Herz der Finsternis geschossen. Im Mittelpunkt ihrer Komödie steht Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit dem nicht nur liebevoll gemeinten Spitznamen „Mutti“ leben muss.

 

RECKLINGHAUSEN. Juli Zeh hat sich als Schriftstellerin wegen ihres Scharfsinns, ihrer Courage und ihrer Treffsicherheit einen Namen gemacht. Mit „Mutti“ bestätigen sich alle Urteile über sie, in der Zusammenarbeit mit der Autorin und Regisseurin Charlotte Roos übertrifft sie sich selbst.

Spannungsfelder, Konflikte und Durchsetzungsstrategien

Die Bundeskanzlerin hatte offenbar wegen ihrer Dominanz Schwierigkeiten mit Politikerkollegen – sie musste einwilligen, an einem Seminar zur Kommunikationsoptimierung teilzunehmen. Die Handlung setzt ein, als Herr Hellmann (!), der Trainer, das Seminar eröffnet. Die SpielSituation ist komplex, mehrere Konflikte überlagern einander. „Angela“ muss zusammen mit „Sigmar“, „Horst“ und „Ulla“ das Seminar absolvieren; in Brasilien spielen die Spanier gegen die deutsche Mannschaft; es ist Sonntag, am Montag muss die Kanzlerin bekannt geben, dass erneut Zilliarden deutscher Steuergelder für Griechenland aufgebracht werden sollen.

Wenn die deutsche Mannschaft gewinnt, dürfte der Siegestaumel am Montag so groß sein, dass die Finanznachricht fast untergeht – Deutschland muss gewinnen! „Angela“ telefoniert mit dem Bundestrainer. Der tut, was er kann – aber das Spiel ist gefährdet. Rebellen demonstrieren vor dem Stadion, sie solidarisieren sich mit Bauarbeitern aus Katar, die sich gegen die mörderischen Arbeitsbedingungen im Scheichtum empören. Die Sicherheitslage ist prekär, „Ulla“ erklärt, dass selbstverständlich keine deutschen Sicherheitskräfte in Brasilien sind, offiziell – inoffiziell sollen „deutsche Berater“ den Konflikt meistern. Die Hiebe der Dramatikerinnen fallen knüppeldick, das Publikum schmunzelt, lacht,  immer wieder befeuern die Zuschauer das Ensemble mit begeistertem Szenenapplaus…

… und immer wieder gelingen Juli Zeh und Charlotte Roos Verdichtungen im Dialog, die zwar nicht das Zeug zum geflügelten Wort haben, aber  doch zur politischen Parole. Zu den besten „Stellen“ gehört „Sigmars“ Analyse, die „den Fußball als Speerspitze des globalisierten Raubtierkapitalismus entlarvt.“

Jeder will sich profilieren, nur „Horst“ möchte   nach Haus, nach München, weil ihm alles stinkt. Aber „Ulla“ sieht Möglichkeiten zu glänzen und stellt sich ständig hinter (!) „Angela“; „Sigmar“ plant eine Rede, um (endlich) aus dem Schatten von „Mutti“ herauszutreten – aber die gewinnt. Haushoch.   Souverän. Ja, spielerisch.

 

Jeder Zuschauer kann sich Gründe für die Überlegenheit und Durchsetzungsfähigkeit „Muttis“ aussuchen – aber die Dramatikerinnen zeichnen die Kanzlerin nicht nur positiv: Sie will uns, die Steuerzahler/WählerInnen, manipulieren, und sie steht nicht hinter dem Protest gegen Katar und die Ausbeutung, sondern vertritt, wie alle Konservativen, die Maxime, dass erste Bürgerpflicht Ruhe sei.

 

Goldstück

Das Stück ist über alle Erwartung gelungen, die Konstruktionen der Fabel und der Figuren sind makellos miteinander verzahnt, der Dialog stützt sich immer wieder auf Wendungen der gegenwärtig geläufigen Politikersprache – die, so ins Feld der Satire gerückt, durchsichtig wird als Phrase, der „Sigmar“ als einziger selbst erliegt – er glaubt, was er sagt. Diesen Anfängerfehler würde „Mutti“ nie begehen. Da kann sie nur unmerklich lächeln

 

Umsetzungsschwierigkeiten

In Hasko Webers Uraufführungsinszenierung bewegt sich die Kanzlerin wie der König auf einem Schachbrett, ganz, ganz vorsichtig – aber jenseits des Offensichtlichen entgingen dem Regisseur subtile(re) Schichten des Schauspiels.   „Sigmar“ gibt Michael Wächter (ausgestopft) als dick und geltungssüchtig, „Horst“ bleibt in Sebastian Kowskis Verkörperung blass trotz deftig-bayrischer Anmutung, Anna Windmüller arbeitet bei „Ulla“ das Strebertum der Ministerin heraus, die Tücke und Gefährlichkeit der Figur bleiben unterbelichtet. Da all diese Figuren zu Karikaturen verflacht werden, nur Nadja Robiné Angela ernsthaft und plastisch spielt, ist klar, warum Angela Merkel sich durchsetzt: sie ist allen anderen überlegen. Da ist das Stück vorsichtiger, differenzierter, Angelas Rivalen sind keine Zerrbilder –  ganze Potentiale der Komödie blieben bei der Uraufführung  am Donnerstag in Recklinghausens Halle König Ludwig 1/2 unausgeschöpft.  Das Stück aber markiert einen Höhepunkt des politischen Theaters unserer Tage. Nachspielen dürfte sich lohnen, neue Inszenierungen können besser werden als die Uraufführung.

Ulrich Fischer

 

 

Aufführungen:     Koproduktion der Ruhrfestspiele mit dem Nationaltheater Weimar, wird dort am 6. Juni 2014 wieder aufgenommen. Spieldauer: 90 Min.

 

Kartentelefon: 02361 9218 – 0 – Internet: www.ruhrfestspiele.de