Aus dem Privatleben des Propheten

Aus dem Privatleben des Propheten

Ayad Akhtars „The Who and the What“ in Hamburg zum ersten Mal auf Deutsch

 

HAMBURG.   Afzal kann sich glücklich schätzen. Er hat, als er aus Pakistan in die USA kam, ganz klein als Taxifahrer angefangen, jetzt gehört ihm ein Drittel der Taxiflotte von Atlanta. Gewiss, seine geliebte Frau ist gestorben, aber er ist Vater zweier prächtiger Töchter – und da fangen die Schwierigkeiten auch schon an. Zarina ist nämlich hochintelligent, sie hat an den besten Universitäten des Landes studiert – und statt zu heiraten und Kinder zu kriegen, schreibt sie ein Buch.

 

Dieses Buch steht im Mittelpunkt von „The Who and the What“, von „dem Wer und dem Was“. Das Buch handelt vom Propheten.  Zarina ist empört, dass Muslime  meinen, der Islam setze sich für Gleichheit ein. Sie weiß als Frau, dass von Gleichheit die Rede nicht sein kann – und möchte gern wissen, wie das Verschleierungsgebot in den Koran gekommen ist.

 

Ernst Stötzner, Lina Beckmann © Klaus Lefebvre
Ernst Stötzner, Lina Beckmann © Klaus Lefebvre

 

Auslegungssache?

 

Dazu studiert sie Biographien des Propheten – und kommt nach  durchaus ernstem Bemühen zu der Einsicht, dass der Prophet diese Verse als Reflex auf eine Heirat niedergeschrieben hat. Er wollte in der Hochzeitsnacht mit seiner neuen Frau allein sein, sprach deswegen, als ihn ein wenig einfühlsamer Hochzeitsgast nicht aufhörte zu belästigen, von einem Vorhang, hinter den niemand schauen sollte – und das ergab ein schreckliches, bis heute nachwirkendes Missverständnis. Aus dem Vorhang wurde ein Schleier, aus dem Wunsch nach Intimität das Gebot für Frauen, sich zu verhüllen.

 

Zarinas Interpretation klingt plausibel, aber sie tritt nicht nur in tausendundein Fettnäpfchen, sie verletzt ausgesprochene und unausgesprochene Gebote. Sie zeichnet den Propheten als Mann, der nicht immer genau wusste, von wem die Stimme kam, die ihm seine Verse eingab. War es Gott, war es sein Ärger? Manchmal klingt die Stimme ausgesprochen weiblich.  Mohammeds Autorität wird in Frage gestellt.  Zarinas Vater, Afzal, zetert: „Blasphemie!“

 

Kleinod

 

Die vier Personen des ungemein dicht gewebten und meisterhaft gebauten Stücks zeichnen einen Querschnitt durch eine islamische Gemeinde: Orthodox der Vater, der nichts versteht, aber alles bestimmen will; oberflächlich traditionell die junge  Mahwish, die sich durch die überragende Intelligenz ihrer älteren Schwester Zarina gekränkt fühlt; reformerisch Zarinas Mann Eli, ein Imam, der sich für neue Methoden zur Koranauslegung öffnet; und Zarina selbst, die moderne Interpretationsmethoden nutzt, um zu einem vertieften Verständnis des Propheten und des Korans vorzudringen.

 

All das ist nur eine Facette dieses reichen Stücks, das geistreich und humorvoll zugleich ist, kenntnisreich und unterhaltend, engagiert für das Neue, verständnisvoll für das Alte.

 

Karin Beier, die Intendantin des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, hat die deutschsprachige Erstaufführung  von „The Who and the What“ nicht nur für ihre Bühne gesichert, sie hat auch selbst inszeniert und bleibt ihrem Stil treu: schlicht (erinnert an Brecht), dem Stück, ihren Schauspielern und dem Publikum gleichermaßen verpflichtet. Karin Beier hat auch den jugendlich wirkenden Autor nach Hamburg eingeladen – und der war angesichts des jubelnden Publikums sichtlich bewegt. Szenen und Dialoge bieten den Schauspielern erstklassiges Futter, das die fast optimal nutzen. Ernst Stötzner präpariert die gegensätzlichen Züge von Vater Afzal sorgfältig heraus: ein  bornierter Mann, trotzdem gleichzeitig liebenswert, deshalb aber nicht minder gefährlich in seinem autoritären, phallokratischen Anspruch. Stötzners Mitspieler, allen voran Lina Beckmann als Zarina, bleiben nicht hinter ihm zurück. Diese Erstaufführung ist auch ein Schauspielerfest.

 

Ayad Akhtar ist ein großartiges Stück gelungen, er ist ein glänzender Dramatiker, wie schon sein ebenfalls in Hamburg gespieltes Stück „Geächtet“ bewies. Mit „The Who and the What“ schmückt ein weiteres Juwel das Repertoire des Deutschen Schauspielhauses.

 

Ulrich Fischer

 

 

Aufführungen am 21., 24. u. 31. Jan.; 9. u. 24. Feb. –  Aufführungsdauer: 1 Std. 30 Min.

Kartentel.: 040 24 87 13 – Internet: www.schauspielhaus.de