Die Sterne stehen günstig

Die Sterne stehen günstig

Das Festival in Avignon hat Wind unter den Flügeln

 

AVIGNON. In diesem Jahr geht das Festival d’Avignon zum 71. Mal über die Bretter, die die Welt bedeuten. Sein Gründer ist Jean Vilar. Er war als Künstler ein Vertreter des Volkstheaters, politisch   Kommunist. Und er forderte wie die Linke in aller Welt: Kunst für alle! Die Zentralisierung der Kunst in Paris war ihm ein Dorn im Auge – und seine Gründung des Festivals in Avignon deshalb programmatisch. Gegen die Kunstmetropole! Abseits teurer Theater! Unter freiem Himmel.

 

Die Unken unkten laut.  Die Mandarine in der Hauptstadt,  also jene, die meinen, zu wissen,  was Kultur ist, sprachen von einer Totgeburt – sie  sollten sich getäuscht haben. Jean Vilar hat Weitsicht bewiesen. Das Festival d’Avignon erfreut sich seit Jahrzehnten schon  auf der ganzen Welt hoher Wertschätzung. Und das, obwohl es – horribile dictu – ein Volkstheaterfestival ist. Volk und Kultur, Volk und Theater – das passt nicht zusammen, war die feste Überzeugung der besseren Kreise, die nicht müde werden, sich als „Elite“ zu bezeichnen. Inzwischen hat  das Volkstheater das bürgerliche Theater immer wieder offen herausgefordert und nicht selten überflügelt.

 

Die Volksbühne polarisiert

 

Ein Beispiel ist jetzt in Avignon zu sehen. Die Volksbühne Berlin gastiert mit  Michail  Bulgakovs „Die Kabale der Scheinheiligen- das Leben des Herrn de Molière“. Regie führt Frank Castorf, heute ein Volksbühnenmann in Deutschland von ebenso weitklingendem Namen wie einst in Frankreich Jean Vilar.

 

Am Ende dieser Spielzeit ist Castorf von seinem Nachfolger als Volksbühnenintendant abgelöst worden, jetzt hat er das Wahrzeichen der alten Volksbühne nach Avignon mitgebracht, eine überlebensgroße Skulptur: eine Rad auf zwei Füßen. Was soll das  Rätselrad in Avignon? Frank Castorf, durch den Statusverlust gekränkt, verweist darauf, dass viele Künstler in Südfrankreich ihr Exil gesucht hätten.

 

Die Kraft, ihr Publikum zu polarisieren, stellte die Volksbühne ein weiteres Mal unter Beweis. Die Franzosen nahmen Bulgakovs „Die Kabale der Scheinheiligen – das Leben des Herrn de Molière“, eine üppige Collage über Macht und Kunst, über Sadismus und Masochismus, geteilt auf: einige gingen während der Aufführung;  die blieben, jubelten und die Volksbühne kann in ihren Annalen stolz verzeichnen: “Avignon  2017: Standing Ovations.“

 

Jonathan Littell

 

Neben großen stehen kleine Produktionen, nicht minder interessant.   Johnathan Littell hat ein Monodram geschrieben. Der Frankoamerikaner hatte einen umstrittenen Roman veröffentlicht, in dem er einen fiktiven SS-Mann von seiner Karriere in der Nazi-Zeit berichten ließ und vom Leben nach dem Krieg. Littell beschrieb die Fortdauer des Nazidenkens nach dem Zusammenbruch der Diktatur – und sorgte so für erhellende Kontroversen. Sein Theaterstück nennt er „Le sec et l’humide“ – „Das Trockene und das Feuchte.“ Es erweist sich als eine Vorstudie für den Roman.

 

Littell stützt sich auf die bahnbrechenden Faschismusstudien von Klaus Theweleit, auf die „Männerphantasien“. Die Inszenierung zeigt, dass das faschistische Denken heute an alte Formen anknüpft. Faschisten, so die Hauptthese, konstruieren ihr Bild von der Wirklichkeit unabhängig von und manchmal auch gegen Fakten. Sie bilden die Wirklichkeit nicht ab, sie schaffen ihre Realität.

 

Reiches Programm

 

Das Programm bietet noch einige Höhepunkte. Olivier Py, der jetzige Intendant des Festivals d’Avignon, ist auch Dramatiker, Regisseur und Schauspieler. Er präsentiert die Uraufführung seines neuen Stücks „Les Parisiens“ – „Die Pariser“. Py stellt zwei Künstlertypen gegeneinander: einen Hedonisten und einen engagierten Theatermacher.    – Das Festival bleibt politisch wie eh und je: Sarajewo, Ruanda und Vietnam sind Themen – um nur drei zu nennen. Und das Festival wird weiblicher – die drei genannten politischen Aufführungen wurden von Frauen geschaffen.

 

Trubel & Knarren

 

In diesem Jahr hat sich die Atmosphäre verändert. Es herrscht noch immer   Festivaltrubel, mitunter Jahrmarktsatmospähre. Doch diesmal mischen sich zwischen Touristen, Festivalbesucher und Straßenkünstler häufiger als sonst Polizisten, einige mit Maschinenpistolen bewaffnet.

 

Die Befürchtung, es könne einen terroristischen Anschlag geben, war noch nie so spürbar. Trotz alledem: der Auftakt wie das internationale, kenntnisreich zusammengestellte Programm mit dem Profil: Volkstheater deuten auf einen guten Festivaljahrgang 2017.

 

Ulrich Fischer

 

Das Festival d’Avignon dauert noch bis zum 26. Juli. – www.festival-avignon.com