Deutschland retten!

 

Sibylle Bergs Nationalistensatire „Viel gut essen“ in Köln urmisshandelt

 

KÖLN. Sibylle Berg versucht in ihrem neuen Stück „Viel gut essen“, eine Auftragsarbeit für das Schauspiel Köln, sich und ihren Zuschauern vorzustellen, wie es im Inneren eines national empfinden modernen deutschen Mannes heute beschaffen ist, was er denkt und fühlt, wie er zu seinen Ressentiments gekommen ist und was er und seine vielen Gesinnungsgenossen planen oder von welchen Projekten sie träumen.

 

Alleingelassen

 

Im ersten Teil des Zweiakters beobachten wir einen Mann in seinen besten Jahren beim Kochen eines großen Abendessens. Der IT-Ingenieur und Arbeitsrechtler erzählt seine Geschichte: Wie seine Frau ihn wegen eines afrikanischen Flüchtlings verlassen hat; wie er seine Wohnung verloren hat und seine Arbeit – eine türkischstämmige junge Frau hat ihn verdrängt. Sie hat ja zwei Quotenvorteile ihm gegenüber: weiblich und türkisch. Da zählt die bessere Qualifikation nichts. – Er findet viele Gründe für seinen tiefsitzenden Groll: Opportunistische Politiker, statt ihn und die anderen Deutschen zu schützen, geben die Rechte der Deutschen Preis und überlassen das Vaterland den Fremden – die nur darauf lauern, dieses wunderbare Land uns zu entwinden, weil wir so schwach und töricht sind. – Während der Erzählung wird die wunderbare Mahlzeit langsam fertig – aber niemand wird kommen, um mit dem Koch zu essen. Längst sind die Frau und der Sohn, auf deren Kommen er (eigentlich schon gar nicht mehr) hofft, für die er kocht, ihm entfremdet.

 

Aber der Antiheld ist nicht allein. Im zweiten Teil sammeln sich die Vielen, die so denken und fühlen. Sie bewaffnen sich und bereiten den (Bürger)Krieg vor – um das Vaterland zurückzuerobern.

 

Verfehlt!

 

Rafael Sanchez verfehlt die Dynamik, die Sibylle Berg ihrem neuen Stück, einem Auftrag des Kölner Schauspiels, eingeschrieben hat. Schlimmer: Der Regisseur greift so stark und ungeschickt ein, dass die Brisanz wie die Verständlichkeit von „Viel gut essen“ vermindert werden. Da können auch die Schauspieler – sechs Herren – nichts retten. Die Uraufführung am Samstag in der Halle Kalk, der Werkstattbühne des Kölner Schauspiels, war so ärgerlich, weil sie Sibylle Bergs Erfindung einfach missachtete. Schade, dass es in Deutschland nicht verboten ist, Stücke zu fälschen oder gefälschte Stücke in Umlauf zu bringen. Sonst könnte man Rafael Sanchez verurteilen, den Grundkurs: „Stücke lesen und verstehen“ noch einmal zu absolvieren und drei Jahre Assistenz dazu.

 

Mindestens!

Ulrich Fischer

Kartentelefon: 0221 221 28400 – Internet: www.schauspielkoeln.de

Aufführungen am 30. Okt.; 4., 7. und 8. Nov. – Spieldauer 80 Min.