Wo Garnelen sich um Weinglas-Stiele winden

Die vielen Gesichter Ostkanadas – Impressionen einer Reise in den Norden
Von Günther Hennecke

Provinz Quebec, Kanada – Es wird immer einsamer auf dem Weg nach Norden. Weit schwingt sich die Autobahn an zahllosen Seen vorbei und durchzieht riesige Wälder, die unberührt scheinen. Kleine, einsam gelegene Holzhäuser erzählen von menschlichem Leben inmitten der weiten Natur. Dann ziehen die ersten gelben „Warnschilder“ vorbei. Sie lassen spüren: Hier leben Elche, durch kilometerlange Zäune vom breiten Verkehrs-„Fluss“ abgeschirmt. Sollten die Tiere mit dem mächtigen Schaufelgeweih auftauchen und  sich ein „Cas d‘ Intrusion“ ergeben, so die Hinweise alle paar Kilometer, dann „Composez 511“, die 511 anrufen.

Elche stoppen die Fahrt nach Norden

Das macht neugierig. Und die Neugier wird prompt befriedigt: Zwei Elche sind plötzlich da, kaum 20 Meter neben der Autobahn, wenn auch hinter dem Drahtzaun. Stopp hieß es – und langsam, auf dem Seitenstreifen, ging es zurück. Doch ehe die Neugier näher hinschauen konnte, ist das Paar, wie von Geisterhand getrieben, im Grün des dichten Waldes wieder verschwunden.

Sonnenuntergang am Fjord Saguenay

Es ist spät geworden, als wir uns dem Fjord nähern und damit dem Nationalpark „Fjord du Saguenay“, unserem Ziel für zwei Tage intensiven Sehens und Erlebens. Der Ort La Baie ist unser erstes Ziel, die grandios oberhalb des Fjords frei gelegene „Auberge Des Battures“, die wir in der Zeit der untergehenden Sonne erreichen. In aller Breite liegt der Fjord vor uns, überstrahlt von der Farb-Sinfonie eines prächtigen Sonnenuntergangs. Es ist wie ein Versprechen auf die nächsten Tage, an denen wir in die Natur des Parks eintauchen.

In der Bucht der Ewigkeit

Angler am anderen Ufer der Baie Éternité am Saguenay-Fjord

Es beginnt mit einer „Ewigkeit“. So heißt die Bucht: „Baie-Éternité“, Ewigkeitsbucht. Uns zieht es an den Fjord, der hier, aber nicht nur hier, von hoch aufragenden Felswänden begrenzt wird. Eben ein Fjord norwegischer Prägung. Im Norden der Provinz Quebec. Es ist geruhsam an diesem frühen Sommertag. Nur wenige Touristen zeigen sich. Bald ist man von der Ruhe und Einsamkeit gefangen. Der Weg führt nahe am Wasser vorbei, das auf der anderen Seite, an einer flachen Stelle, zwei Fischer angezogen hat. Gar nicht weit vom Eingang entfernt, wo uns zuvor ein bescheidenes kleines Restaurant mit Kasse und Kiosk voller Erinnerungsstücke erwartet hat. Eine kleine Landungsbrücke lockt uns schließlich auf unserem Weg der Bucht entlang. Sie ist Ziel eines Ausflugsbootes, das zwischen den Fjord-Einschnitten verkehrt. Es kommt von L‘Anse-Saint-Jean, wo wir Stunden später, nachdem wir einige Kilometer weiter auf der Straße parallel zum Fjord gefahren sind, landen werden.

Typisches Haus am Rand der Straße -bei Petit Saguenay in Nähe des Fjords

Der Hochseilparcour „Via Ferrata“ lockt Abenteurer

Die „Via Ferrata“, die sich noch in der Éternité- Bucht als 85 Meter langer und schmaler Steg in luftiger Höhe von einer Felswand zur anderen spannt, ist nicht unser Ding. Sie soll, sie muss aber noch erwähnt werden, wird dieser „Hochseilparcour“ doch angepriesen als „einer der besten in Nordamerika“. Wir überlassen ihn gleichwohl gerne den zigfach abgesicherten Alltagsabenteurern.

Glasklarer Mittag im „Café du Quai“ in Saint-Jean

Im kleinen Hafen von Saint-Jean am Fjord Saguenay

Verglichen mit der Bucht der „Ewigkeit“, mit ihrer Intimität und Ruhe, ist Saint-Jean schon ein veritables Touristen-Örtchen mit Hafen, Cafés und Restaurants. Gleichwohl immer noch wohltemperiert – sowohl touristisch wie klimatisch. Auf der Terrasse des „Café du Quai“ erleben wir Ort und Hafen an einem glasklaren Mittag in Kanadas Norden.

Bündel von Stromleitungen überwindet den Saguenay

Schließlich müssen wir aber nicht nur der „Ewigkeit“ Lebewohl sagen. Auch der grandiose Blick von der hoch überm Wasser liegenden Aussichtsstelle „L‘Anse-de-Tabatière“ auf und über den sich weithin gegen Osten ausbreitenden Fjord liegt da schon hinter uns. Dort haben uns freilich nicht nur die landschaftliche Pracht, das tiefblaue Wasser und der uns immer noch so sehr gewogene strahlend-blaue Himmel gefangen genommen. Ein technisches „Wunderwerk“ fand unsere Aufmerksamkeit. Von hier aus schwingt sich nämlich, von riesigen 110 Meter hohen Stahl– und Eisenmasten gehalten, ein ganzes Bündel von Stromleitungen hinüber aufs jenseitige, aufs Nordufer des Saguenay-Fjords. Sie transportieren Strom aus Kanadas hohem Norden in die großen Städte. In 60 Metern Höhe überspannen sie geschätzte zwei Kilometer. Im Winter, wenn Eis und Schnee die Leitungen belasten, verringert sich diese Spann-Höhe auf 30 Meter.

Tiefblaues Wasser und schroffe Felswände

Die faszinierende Reise den Fjord entlang neigt sich dem Ende zu. An der „Baie Étenité“ hatte die Zeitreise begonnen. Danach war es die Bucht von Saint-Jean, die lockte. Neugier und Stille waren meist unsere Wegbegleiter, und der ferne, am anderen Ufer des Fjords geduldig sitzende Angler war uns im Licht des kanadischen Nordens wie eine romantische Utopie erschienen. Es war Anfang Juni. Der Fjord und seine Welt gehörten noch nur wenigen Besuchern. Den Gästen eines der drei Meeres-Schutzgebiete im Nationalpark-System des Landes.

Wale lassen sich nicht blicken

Es ist später Nachmittag, als sich unsere Fjord-Entdeckung dem Ende zuneigt. Ein Erlebnis fehlt nur noch: Wale dort zu erleben, wo die „Vermählung“ von Saguenay und St. Lorenz stattfindet.

Auf der Fähre über den Fjord nach Tadoussac

Vielleicht ist es aber noch zu früh im Jahr, denn weder Beluga– noch Blauwale, die sich im Sommer und Herbst hier regelmäßig blicken lassen, machen uns die Freude. So bleibt nur die Fährfahrt hinüber nach Tadoussac, vom Südufer nach Norden.

Kanadisches Leben in Tadoussac

Dort wartete das „Hotel Tadoussac“ auf uns, ein 1864 erbautes Hotel an der gleichnamigen Bucht.

Im Garten das „Hotels Tadoussac“

Weit streicht der Blick vom Garten des in Rot und Weiß recht elegant wirkenden Gebäudes über den fast endlos scheinenden St. Lorenz. Was schon wie das Meer erscheint, ist in Wirklichkeit der riesige, sich von hier aus Richtung Nordosten immer weiter ausbreitende Fluss, an dieser Stelle geschätzte 25 km breit. Wie fast alles in diesem Land jedes Maß sprengend. Tadoussac, rund 210 Kilometer von Quebec entfernt und gerade mal ein Städtchen mit kaum 1000 Einwohnern, hat gleichwohl schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Bereits vor über 400 Jahren, Ende des 16. Jahrhunderts, lebten hier baskische und bretonische Fischer, die mit den Indianern Handel trieben, ehe um 1600 ein Franzose in „Neufrankreich“ einen festen Handelsposten einrichtete.

Musik und Wein „Chez Mathilde“

Uns lockt freilich, nachdem wir genug von der Atmosphäre das Hotelgartens und der Lorenz -Breite in uns aufgenommen haben, ein kanadisches Dinner. Und wir finden nicht nur ein gemütliches, sondern ein auch musikalisch einladendes Restaurant. Im „Chez Mathilde“ begleitet ein Pärchen, er am Bass, sie am Klavier, einen stimmungsvollen Abend. Dass ihre Musik, alles andere als gängiger Kaffeehaus-Kitsch, lange Zeit unbeachtet bleibt, sich keine Hand nach Ende eines Stückes zum Applaus rührt, passt uns so garnicht. Doch kaum hatten wir, zugegebenermaßen ein wenig darauf hoffend und es provozierend, nach einem Stück applaudiert, war der Bann gebrochen. Kein Wunder, dass sich das Minenspiel des zuvor kaum beachteten Duos sichtbar ändert. Etwas Rotwein in den Pausen – und der Abend wurde zu einem kleinen kulinarisch-musikalischen Ereignis. Merci Tadoussac, adieu „Mathilde“!

Neu Braunschweig hinter den Bergen

Die Fähre am Zusammenfluss von Saguenay und Lorenz-Strom kennen wir schon von der Hinfahrt. Aber Wale lassen sich auch diesmal nicht blicken, als es mit ihr auf die Südseite zurück geht. Weit geht der Blick noch einmal nach Osten, weithin über den Lorenz-Strom, der wirkt wie der relativ nahe Atlantik – wären nicht die Notre Dame-Berge im Weg, hinter denen zudem noch so etwas wie ein ferner Gruß aus Deutschland winkt. Schließlich meint New Brunswick, das hinter den Bergen liegt, nichts anderes als Neu Braunschweig. Doch nur kurz werden wir in Kanadas gemäßigtem Norden an Deutschlands Norden erinnert.

Zurück in den Süden, nach Quebec

Unser Weg, der von der Hinfahrt bekannten Autobahn entlang, führt nun nach Quebec zurück. In die Stadt, die der gesamten Provinz den Namen gibt. Da mag Montreal auch noch so viel größer und wirtschaftlich wichtiger sein: Quebec ist auch mindestens so besuchenswert wie die Stadt auf dem „Königlichen Berg“, der in Wirklichkeit nichts ist als an Hügelchen auf einer Insel – der „Île de Montréal“, die mit ihren 50 Kilometern Länge kaum als solche zu erkennen ist. Nur die zahllosen Brücken erinnern immer wieder daran.

Als die Irokesen den Kampf gegen die Weißen verloren

Der St. Lorenz fließt um den „Königlichen Berg“ herum, der 1642 von Franzosen besiedelt wurde. Dass die jedem Karl May-Leser und Indianer-Fan bekannten Irokesen ihnen einst Paroli bieten wollten, ändert nichts daran: Die Europäer behalten die Oberhand. Und als 1701 Frieden zwischen den unterlegenen Rothäuten und eroberungssüchtigen Weißen geschlossen wird, startet Montreal durch – und sein Hafen, der letzte am Sankt Lorenz vor den unüberwindbaren Stromschnellen Richtung Inland, lebt auf. Pelze sind begehrt, und von denen gibt es in den nordischen Wäldern genug. Sie müssen den Wildtieren nur noch abgezogen werden.

Riesiger Wasserfall vor den Toren Quebecs


Der Wasserfall Montmorency bei Quebec

Doch zurück nach Quebec, vor dessen Erreichen uns auf dem Weg nach Süden noch eine nasse Überraschung erwartet. Kaum zu glauben, dass es in dieser scheinbar so flachen Landschaft einen derart beeindruckenden Wasserfall geben soll. Montmorency heißen die Fälle und sind gerade mal eine Handvoll Kilometer von der Autobahn und kaum 20 Kilometer von Quebec entfernt.

Mit Rasanz und Zipline über die Katarakte

In beeindruckender Manier stürzen sich die Wassermassen über 80 Meter und zwei Katarakte in die Tiefe, als könnten sie den St. Lorenz-Strom nicht schnell genug erreichen. Eine schwindelerregende Fußgänger-Brücke spannt sich über die Fälle. Und als reichte das noch nicht, wartet auf die Abenteurer eine Zipline, die sie, hängend und bestens abgesichert, an einem Seil quer über den Wasserfall rasen lässt.

Touristen-Massen in Quebecs Unterstadt

Es ist, wenig später, ein Wiedersehen mit Quebec. Bereits auf der Hinfahrt nach Norden  haben wir einen ersten Eindruck bekommen. Die Unterstadt, so schön und einladend sie auch ist, erinnert an all die Städte, die unter den Touristenströmen leiden: Überlaufen und ihrer selbst entfremdet. Da mag sich selbst die UNESCO noch so sehr ins Zeug legen und diesen Teil der Stadt als Weltkulturerbe geadelt haben. Immerhin stand hier, vor vier Jahrhunderten, das erste Lagerhaus der Pelzhändler.

Das „Château Frontenac“ erinnert an die Pionierzeit der Eisenbahn 

Eine kleine Flucht aus der Tiefe der Unterstadt in die Oberstadt hat uns vor Tagen, bei der Hinfahrt, auch in die Bar des Hotels „Le Château Frontenac“ geführt. In eins der Hotels, die entlang der Route der „Canadian Pacific Railway“ entstanden, die das Land über fast 5.000 Kilometer von Ost nach West durchzog und miteinander verband. Trutzburgen gleich laden sie noch immer ein – zwischen Quebec und Vancouver. Und ob in Toronto oder Banff, Lake Louise oder anderswo: Sie sind ein Erlebnis der besonderen Hotelart. Wir haben es in vielen Jahren, in denen uns Kanadas Wintersportorte bereits gefangen genommen hatten, erlebt – und bewundert. Es sind, vor allem in den Rockies entlang der Bahnlinie, wahre Schlösser aus einer Zeit des beginnenden Luxus-Tourismus.

1885 begann die Canadian Pacific die Durchquerung ganz Kanadas

Alles begann 1885. In diesem Jahr, an einem November-Tag, geschah es in Craigellachie in in den Rockies von British Columbia, dass der „Last Spike“, der „Letzte Nagel“ in die Bahngleise eingeschlagen wurde – und es erstmals möglich war, Kanada mit der Eisenbahn zu durchqueren. In der Bar des „Frontenac“ in Quebec, 1924 erbaut, wurden wir daran erinnert, welch‘ Entdeckermut einst notwendig war, eine Strecke durch unendliche Weiten und die steil ansteigenden Rockies zu bauen. Begleitet von Kathedralen eines frühen Tourismus. Die waren freilich nur etwas für Leute, die es sich leisten konnten.

Auf Quebecs „Kö“ – der Grande-Allée

Doch zurück zum Wiedersehen mit Quebec. Diesmal erleben wir, in und entlang der Grande-Allée, eine Stadt des Müßiggangs und der Gelassenheit. Eine Art kanadische „Kö“ ist sie, auf der man sieht und gesehen werden will. Das „Grand Café“ hatte es uns angetan. Überhaupt laden hier Restaurants und Cafes zum Innehalten ein. Am Ende verliert sich die lange Allee in einen vornehm erscheinenden Villen-Vorort. Ein spürbarer Unterschied zum geschäftigen Montreal.

Der Weg zurück nach Montreal

Es fällt nicht ganz leicht, sich von dieser Stadt zu verabschieden. Doch Montreal lockt zurück. Dorthin, wo unsere kurze und sehr intensive Reise begonnen hat. In die größte Stadt der Provinz Quebec. Dass und warum sie auch die wirtschaftlich bedeutendste war und immer noch ist, wird deutlich, wenn man, vom Norden kommend, durch schier unendlich sich hinziehende Industrie- und Hafengelände fährt.

Der „Place Jacques-Cartier“ , Montreals „Wohnzimmer“

Straßenrestaurants und Cafés an der Rue de la Commerce am Hafen von Montreal.

Doch bald weitet sich der Blick, und hinter dem Hafen beginnt das Menschengewirr, und die Altstadt öffnet sich am einladend-großzügigen „Place Jacqes-Cartier“. Vieux Montréal präsentiert seinen Charme. Es ist Anfang Juni. Der hier regelmäßig eiskalte Winter mit Massen von Schnee ist zu Ende, der Beginn des Sommers zeigt sich zaghaft, aber sonnig. Noch liegt die berühmte und feuchte Sommer-Hitze der Stadt in weiter Ferne. Fast soweit weg wie Mailand, auf dessen geographischer Breite Montreal liegt.

Ballett-Abend in Montreals Oper

Mit Mailands Klima dürfte die kanadische, sehr französische Stadt freilich ebenso wenig vergleichbar sein wie ihr Opernhaus mit der Scala. Doch hat eben dort, im Opernhaus von Montreal, unsere Reise gleichsam begonnen. „Les Grands Ballets“ hat zur „Soirée des Etoiles“ geladen. Und wir sind dabei, als eine der führenden Tanztheater-Bühnen des Landes sowohl auf Spitze als auch voller Kraft und höchster Vitalität tanzt. Vom Pas de trois „Paquita“ über den Pas de deux „La Bayadere“ bis zum kräftezehrenden „Soul“ beweist die Truppe, welche Spannbreite sie beherrscht.

Internationale Theater- und Kulturszene

Totempfahl als Erinnerung an die indianische Geschichte und Kultur Kanadas – im Museumsviertel von Montreal

Dass der Pas de deux „Esmeralda“ Luidmila Konavalova vom Wiener Staatsballett und Dinu Tamazlacaru vom Staatsballett Berlin dabei gemeinsam auf die Montrealer Bühne bringt, ist ein kleiner Verweis auf die Internationalität Montreals und seine Bedeutung in der Kunst-Welt. Beethovens „Symphonie Nr. 5“, von Nikolaus Harnoncourt interpretiert und von Garret Smith choreografiert, rundet diesen Eindruck faszinierend ab.

Das „Château Ramezay“, eins der ältesten Häuser der Stadt

Doch aus der Gegenwart zurück zu den „Wurzeln“ der Stadt. An der Rue Notre-Dame, oberhalb des „Alten Hafens“, erzählt ein ganz und gar nicht herrschaftliches Gebäude von den Anfängen. Das „Château Ramezay“, 1705 als Gouverneurs-Residenz erbaut, ist eins der ältesten Gebäude der Stadt. Zeichnungen, Portraits der von hier aus herrschenden Gouverneure, ethnologische Kostbarkeiten und Kunstwerke der indianischen Ureinwohner lassen zurückblicken in die bescheidenen Anfänge.

Auf dem Weg zur Kathedrale Notre-Dame

Auf dem Weg zur Basilika Notre-Dame bleibt der müßig schlenderte Fremde auf dem größten Platz der Altstadt, dem „Place Jacques-Cartier“, hängen. Musiker bestimmen den Ton, Bänke laden zum Verweilen ein, und die zahlreichen Restaurants und Cafés rechts und links des Platzes sind voller Leben. Dass er völlig ohne Autos lebt, macht ihn ganz besonders.

Blick von einem Dachrestaurant auf den Place Jacques-Cartier

Riesiger Altaraufbau in der Basilica Minor

Keine 500 Meter die Rue Notre-Dame weiter nach Süden – und die Bischofskirche gleichen Namens lässt den Fremden nicht unbeachtet vorbeigehen. Kostenlos rein, etwa zum Beten oder Sich-Besinnen? Pustekuchen! Es kostet, die ab 1834 als erste neugotische Kirche Kanadas erbaute Basilika zu besuchen. Was einen drinnen, in dem einschiffigen Bauwerk erschlägt, ist das ins fast Unermessliche gesteigerte Altar-Bild. Von Moses über Aaron nach Golgatha, von Melchisedech über Abraham bis zur Krönung Marias: Das Kreuz mit der Christusfigur hat es schwer, Mittelpunkt zu sein. Seit 1982 trägt Notre-Dame übrigens den Ehrentitel Basilica Minor.

„Je ne regrette rien“ klingt’s über den „Place-d’Armes“

Vieux Montreal, malerische kleine Straße

Sich auf dem gegenüberliegenden Place-d‘Armes von den geradezu barockalen Massen zu erholen, wird durch Musikanten und Flaneure zum Vergnügen der Einfachheit. Eine Sängerin, begleitet von einem Gitarristen, erinnert an Chansons von Edith Piaf. Und ganz in der Nähe von Platz und Kathedrale warten farbenfrohe Kutschen mit geduldigen Pferden auf Kunden. „Je ne regrette rien“ klingt es dazu über den Platz. Nein, da war nichts zu „bereuen“. Schon gar nicht, sich von hier aus in das Hafengebiet zu verlaufen. Durch recht schmale Straßen zur Rue de la Commerce, wo man erneut über Restaurants nur so stolpern kann.

Ein Klavier für jeden, der spielen will

Blick vom Archäologischen Museum auf den Place Royale in Montreal.

Das alles von oben bewundern zu können, lädt der Eckturm des Archäologischen Museums Pointe-à-Callière zur Fahrt hoch hinauf mit dem Aufzug. Der Blick auf den „Place Royale“, entlang der „Rue de la Commerce“ und den parallel verlaufenden alten Hafen, lässt die unaufgeregte Lässigkeit dieser Stadt erkennen.Dass vor der Tür des Museums, ungeschützt und scheinbar heimatlos, ein Klavier auf mutige Akteure wartet, wird spätestens zur Überraschung, wenn sich wirklich zwei Hände daran machen, die schwarzen und weißen Tasten zum Klingen zu bringen. Das geschieht – und keinen verblüfft es: Wer hören will, hält inne und genießt die Atmosphäre. Montreal, äußerst sympathisch.

Faszinierende Biosphären-Kugel auf der „Île Sainte-Hélène

Was noch fehlt an unvergesslichen Augenblicken, ist eine Fahrt zur „Île Sainte-Hélène“, wo eine riesige „Biosphären“-Kugel, ein Kunstwerk aus durchsichtigem Drahtdrahtgeflecht an die Welt-Ausstellung von 1967 erinnert. Sie war einst der Beitrag der USA. Heute erzählt ein Museum vom Klima, vom Wasser und der Luft. Vom westlichen Ufer des „Parc Jean-Drapeau“ aus ergibt sich schließlich ein beeindruckender Blick auf das auf der anderen Seite des St. Lorenz liegende Montreal mit seinen Hochhäusern.

Der Garnelen-Cocktail, der auf dem Kopf steht


Ein Garnelen-Cocktail steht Kopf. Am Place Jaques Cartier im Herzen von Montreal.

Zurück in der Altstadt und wieder auf dem „Place Jacques Cartier“, durstig und hungrig nach einer Kleinigkeit, ergibt sich schließlich die ganz spezielle Präsentation und Überraschung eines Garnelen-Cocktails. Rund um den Stiel eines auf dem Kopf stehenden Wein-Glases sind sechs herrlich frische Garnelen gewunden. Eine Zitronenschale liegt da, worauf das Glas üblicherweise steht. Was aber enthält das auf dem „Kopf“ stehende Glas? Salat mit einer köstlichen Sauce! Man muss nur alles genussvoll auf einem Holzbrett zusammenfügen.

Au Revoir, Canada!

Es gibt sie also noch, die Überraschungen, die die banale Globalisierung und Gleichmacherei mit Witz, Humor und verrückten Ideen überleben. Mérci Montréal! Mérci Canada! Es waren Eindrücke, die bleiben werden! Au revoir!

Diese ganz private Reise fand statt vom 31.Mai bis 10.Juni 2019