Die Justiz am Pranger

John Grishams herzwärmende „Wächter“

„Die Wächter“ sind eine außerordentlich befriedigende Lektüre. John Grisham schildert Fälle von Männern, die unversehens in die Mühlen der Justiz geraten   und unschuldig in Gefängnissen sitzen. Einer der „Wächter“, die dem Roman seinen Titel geben, ist Anwalt einer kleinen gemeinnützigen Organisation, die solche Fälle aufgreift und versucht, Unschuldige freizubekommen.

Cullen Post ist Jurist. Als junger Mann erlitt er einen Nervenzusammenbruch, als ein Gericht ihn verpflichtete, als Pflichtverteidiger einen jungen Schwerkriminellen zu verteidigen. Er kann und will nicht in seinen alten Beruf zurückkehren. Ein Geistlicher, der ihn betreut, bringt ihn auf einen neuen Weg, er studiert Theologie, wird Pastor. Cullen entscheidet sich, seine beiden Berufe zusammenzuführen, als er im Gefängnis einem Mann Beistand leistet, der noch Jahre nach seiner Verurteilung seine Unschuld beteuert. Cullen glaubt dem Mann und kann ihn tatsächlich aus der Haft befreien.

Die Handlung setzt ein, als Cullen nun schon länger mit GesinnungsgenossInnen   Erfahrungen gesammelt und Unschuldige befreit hat. Er ist der Icherzähler und berichtet von einem atemberaubenden Fall – atemberaubend sind Grishams Bestseller vermutlich nicht nur wegen seines lakonischen Stils, seinem bis zur Ruchlosigkeit professionellen Umgang mit der Spannung, sondern auch wegen seines scharfen Urteils: „Wir haben es mit Zeugen zu tun, die gelogen haben, Polizisten, die Beweise untergeschoben haben, Sachverständigen, die Geschworene getäuscht haben, und Staatsanwälten, die zum Meineid angestiftet haben.“ Cullen spricht auch öfter zusammenfassend  mit begründeter Empörung, vom „korrupten System“. Obwohl drei Übersetzer sich die Arbeit geteilt haben, beeinträchtigt das  die Eindeutigkeit, die Klarheit des Textes in keiner Weise.

Die herausragende Qualität Grishams liegt nicht zuletzt in der  Plausibilität seiner Fälle. In den „Wächtern“ geht es um einen korrupten Sheriff, der einen Mord an einem Anwalt, der ihm als Zeuge gefährlich werden könnte, verbergen will und deshalb sein Verbrechen einem Schwarzen in die Schuhe schiebt.  Die Schilderung der verschlafenen und trägen Richter, der einfältigen Jurys, der voreingenommenen Staatsanwälte ist eine Lesegenuss, der nur noch von der Befriedigung übertroffen wird, dass all diese Zeitgenossen von Cullen und seinen Mitwächtern zur Verantwortung gezogen werden.

Die Welt der Dichtkunst ist erfreulicher als die Welt; Grisham beschreibt in seinem kurzen Nachwort, er sei zu seinem Roman von einem wirklichen Fall inspiriert worden – in dem der Unschuldige, obwohl seine Unschuld erwiesen ist, nie befreit wurde.

Grisham ist selbst ein Wächter – und er ruft zur Wachsamkeit auf. Auch dieses Buch ist ihm wieder rundum gelungen. Lesenswert.

                                                                                              Ulrich Fischer

John Grisham Die Wächter. Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. 448 S., 24,00 €